Leitsatz (amtlich)

Der Vertrauensschutz gebietet es, dass die zum Widerruf von Vergünstigungen nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVollzG berechtigenden Umstände so bedeutsam sein müssen, dass sie der ursprünglichen, dem Gefangenen günstigen Entscheidung die Grundlage entziehen. Die Beachtung dieser gesetzlichen Vorgaben ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 03.11.2005; Aktenzeichen 541 StVK 585/05 Vollz)

 

Tenor

  • 1.

    Der Gefangene wird in die Frist zur rechtzeitigen Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 3. November 2005 wiedereingesetzt.

  • 2.

    Die Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen, soweit der Gefangene die Gewährung von Fahr- und Zehrgeld beantragt hat.

  • 3.

    Auf die Rechtsbeschwerde wird der vorbezeichnete Beschluß aufgehoben, soweit er den Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Plötzensee vom 1. Juli 2005 bestätigt, mit dem die Zulassung des Gefangenen zur gemeinnützigen Tätigkeit in der ARGE-Gruppe außerhalb der Anstalt zurückgenommen worden ist. Dieser Bescheid wird aufgehoben. Im Wege der Folgenbeseitigung ist der Gefangene unverzüglich zu der Maßnahme wieder zuzulassen.

  • 4.

    Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen und die notwendigen Auslagen des Gefangenen jeweils zur Hälfte zu tragen. Im übrigen werden die Verfahrenskosten dem Gefangenen auferlegt.

 

Gründe

Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee. Seit dem 4. September 2003 erhält er Vollzugslockerungen und Regelurlaube. Er war zu der Lockerungsmaßnahme zugelassen, außerhalb der Anstalt an der "ARGE-Gruppe" teilzunehmen, um dort gemeinnützige Arbeit zu leisten.

Am 1. Juni 2005 beantragte er für diese Maßnahme die Gewährung eines Essenszuschusses und des erforderlichen Fahrgeldes für die Hin- und Rückfahrt. Daraufhin setzten sich Anstaltsbedienstete mit Mitarbeitern der ARGE in Verbindung und ermittelten, daß er zwischen Januar und Mai 2005 mehrfach das Anstaltsgelände verspätet verlassen und zwangsläufig verspätet die Arbeit aufgenommen hatte. Und zwar hatte er statt um 7.30 Uhr die Anstalt zwölfmal zwischen 7.55 Uhr und 8.30 Uhr, zweimal zwischen 8.30 Uhr und 9.30 Uhr, viermal zwischen 9.30 Uhr und 10.30 Uhr und einmal um 10.35 Uhr verlassen. "Zwei- bis dreimal" hat die Anstalt dies durch den Einsatz des Gefangenen im Winterdienst auf dem Anstaltsgelände für entschuldigt angesehen. Auf welche der vorgenannten Verspätungsgruppen diese Ausnahmen zutreffen, hat die Strafvollstreckungskammer nicht festgestellt.

Am 21. Juni 2005 fand eine Vollzugsplankonferenz statt. Die Vollzugsbehörde nahm die Verspätungen und die Forderungen des Gefangenen nach Fahr- und Zehrgeld zum Anlaß, eine sinkende Arbeitsmotivation festzustellen und seine Vereinbarungsfähigkeit in Zweifel zu ziehen. Durch seinen auf Geldleistungen gerichteten Antrag habe er gezeigt, daß er den Leitgedanken, der Arbeit bei der ARGE - die Wiedergutmachung - nicht "verinnerlicht" habe.

Mit dem Bescheid vom 1. Juli 2005 lehnte die Anstalt daher nicht nur den Zahlungsantrag mangels gesetzlicher Grundlage ab, sondern löste den Antragsteller auch von der Lockerungsmaßnahme ab.

Mit dem Antrag vom 8. Juli 2005 hat der Gefangene beantragt, ihm die Lockerungen wieder zu gewähren. Ferner hat er sein auf die Geldleistung gerichtetes Begehren weiterverfolgt.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 3. November 2005 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin diese Anträge als unbegründet zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen hat der Senat zunächst mit Beschluß vom 4. Januar 2006 als unzulässig zurückgewiesen, weil sie die Form des § 118 Abs. 3 StVollzG nur scheinbar wahrte.

Am 6. Februar 2006 hat der Antragsteller die Rechtsbeschwerde erneut eingelegt und begründet und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit dem Rechtsmittel rügt der Gefangene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel hat hinsichtlich der Ablösung von der Lockerungsmaßnahme Erfolg. Im übrigen ist es unzulässig.

I.

Der Senat gewährt dem Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil der Formverstoß auf dem Verschulden eines Angehörigen der Justiz - des Urkundsbeamten - beruht (vgl. BVerfG NStZ-RR 2005, 238), und der Gefangene die Rechtsbeschwerde nunmehr am 6. Februar 2006 ordnungsgemäß zu Protokoll des Urkundsbeamten eingelegt und begründet hat.

II.

Die Rechtsbeschwerde erfaßt den gesamten Inhalt des angefochtenen Beschlusses, obgleich sie sich zu der Frage des Fahr- und Zehrgeldes nicht mehr verhält. Eine nur teilweise Anfechtung ist darin aber nicht zu sehen; denn diese Beschränkung des Anfechtungsumfanges müßte ausdrücklich erklärt sein, woran es hier fehlt.

1.

Das Rechtsmittel ist unzulässig, soweit es sich gegen die Ablehnung des Fahr- und Zehrgeldes richtet. Der Senat verwirft es insoweit einstimmig nach § 119 Abs. 3 StVollzG. Denn es erfüllt zu diesem...

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