Leitsatz (amtlich)
1. Aufgrund seiner Fürsorge- und Aufklärungspflicht muss der Tatrichter vor Erlass eines Verwerfungsurteils grundsätzlich bei der Geschäftsstelle nachfragen, ob eine Mitteilung über die Verhinderung des Betroffenen vorliegt.
2. Unter den Bedingungen eines üblicherweise dynamisch und komplex verlaufenden Sitzungstags gebietet es die Fürsorge- und Aufklärungspflicht jedoch nicht, bei allen Einlaufstellen für digitale und physikalische Post nachzufragen.
Normenkette
OWiG § 74 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 23.06.2014; Aktenzeichen 300 OWi 13/14) |
Tenor
1. Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Juni 2014 aufgehoben.
2. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. Februar 2014 wird verworfen.
3. Der Betroffene hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 15. November 2013 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße in Höhe von 280,00 Euro verhängt. Nachdem das Amtsgericht auf den rechtzeitigen Einspruch des Betroffenen Termin zur Hauptverhandlung auf den 12. Februar 2014 (11.10 Uhr) anberaumt hatte, hat der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 11. März 2014 beantragt, den Termin aufzuheben. Zur Begründung hat er mitgeteilt, der Betroffene sehe sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, den Termin wahrzunehmen; er könne weder stehen noch längere Zeit sitzen. Dieses Schreiben hat der Verteidiger per Fax übersandt, allerdings nicht an die auf der Ladung mitgeteilte Nummer der Geschäftsstelle, sondern an die Nummer der Poststelle des Amtsgerichts. Dort ist es am 11. März 2014 um 17.31 Uhr eingegangen. Bei der Geschäftsstelle der Abteilung ist der Schriftsatz am 13. März 2014 gestempelt worden. Im Hauptverhandlungstermin, zu dem weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen sind, hat das Amtsgericht den Einspruch mit der Begründung verworfen, der Betroffene sei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung im Hauptverhandlungstermin ausgeblieben. Gegen das am 28. Februar 2014 zugestellte Urteil hat der Betroffene am 6. März 2014 Rechtsbeschwerde eingelegt, die durch seinen Verteidiger mit am 7. April 2014 eingegangenem Schriftsatz begründet worden ist. Das Amtsgericht hat die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2014 als unzulässig verworfen, weil das Rechtsmittel nicht fristgerecht begründet worden sei. Der Betroffene wendet sich gegen die Verwerfung seiner Rechtsbeschwerde mit dem Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der Antrag hat Erfolg, nicht aber die Rechtsbeschwerde selbst.
1. Der nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO statthafte und im Weiteren zulässige Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist begründet. Die Beschwerdeanträge sind frist- und formgerecht gestellt worden. Da das Urteil in Abwesenheit des - auch nicht durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger (§ 73 Abs. 3 OWiG) vertretenen - Betroffenen verkündet worden ist, begann die Wochenfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde mit der Zustellung des Urteils (§ 79 Abs. 4 OWiG) am 28. Februar 2014. Sie endete mit dem Ablauf des 7. März 2014. Die Monatsfrist zur Anbringung der Beschwerdeanträge und ihrer Begründung (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) schloss sich hieran an, so dass die Rechtsmittelbegründung am 7. April 2014 rechtzeitig bei dem Amtsgericht eingegangen ist.
2. Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde bleibt erfolglos.
a) Allerdings ist die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe die durch ein ärztliches Attest belegte Verhandlungsunfähigkeit übergangen, zulässig erhoben. Die Verfahrensrüge erfüllt die Anforderungen des § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Sie teilt mit, wann und mit welchem Inhalt der auf die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins antragende Schriftsatz der Verteidigung vor Verhandlungsbeginn beim Amtsgericht eingegangen ist. Auch erklärt sie sich dazu, dass der Schriftsatz nicht an die Geschäftsstelle der Abteilung gerichtet war, deren Nummer der ebenfalls mitgeteilten Umladung (Rechtsmittelschrift S. 2) zu entnehmen ist, sondern an die Poststelle des Amtsgerichts. Schließlich ist der Verfahrensrüge zu entnehmen, dass der Aufhebungsantrag erst am 13. Februar 2014 bei der Geschäftsstelle einging. Diese Angaben versetzen den Senat in die Lage zu überprüfen, ob das Gericht gegebenenfalls entscheidungserhebliche Tatsachen, nämlich den Terminsaufhebungsantrag und das Entschuldigungsvorbringen, übergangen hat, obwohl es diese hätte zur Kenntnis nehmen können und müssen.
b) Die Verfahrensrüge dringt jedoch nicht durch. Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Unrecht, dass die Tatrichterin einen rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Terminsverlegung unbeachtet gelassen und rechtliches Gehör verletzt ...