Leitsatz (amtlich)
Bevor der Rechtspfleger im Hauptsacheverfahren das Ruhen der elterlichen Sorge feststellen und für den im Inland ohne Papiere angetroffenen, minderjährigen unbegleiteten Flüchtling einen Vormund auswählen und bestellen darf, sind das zuständige Jugendamt zu beteiligen, der betroffene Jugendliche anzuhören und es ist zu ermitteln, ob eine vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII erfolgt ist.
Verfahrensgang
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 201 F 5146/24) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Vormunds wird der am 5. Juli 2024 erlassene Beschluss des Amtsgerichts Pankow - 201 F 5146/24 - und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Der bestellte Amtsvormund wendet sich im Namen des Jugendlichen dagegen, dass das Familiengericht mit dem angegriffenen Beschluss das Ruhen der elterlichen Sorge von Mutter und Vater des heute etwa 17½ Jahre alten Jugendlichen festgestellt, Vormundschaft angeordnet und den Amtsvormund als Vormund ausgewählt hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Im Namen des Jugendlichen rügt der Vormund, das Familiengericht habe zu Unrecht das Ruhen der elterlichen Sorge von Mutter und Vater des im Inland ohne Ausweispapiere oder Aufenthaltstitel als unbegleiteten minderjährigen Flüchtling aufgegriffenen Jugendlichen festgestellt. Er meint im Wesentlichen, die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge sowie Anordnung, Auswahl und Bestellung des Vormundes hätten erst erfolgen dürfen, nachdem die erforderlichen Anhörungen erfolgt und die notwendigen Ermittlungen geführt worden seien. Die Feststellung des Ruhens - und damit in der Folge auch die Anordnung von Vormundschaft - sei deshalb aufzuheben.
Der Senat hat von Amts wegen im Wege der einstweiligen Anordnung (16 UFH 1/24) das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt, Vormundschaft angeordnet und das Jugendamt ... als vorläufigen (Amts-) Vormund ausgewählt und bestellt.
II. 1. Die Beschwerde des Vormunds wurde rechtzeitig und in der gehörigen Form angebracht (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 FamFG) und ist auch im Übrigen zulässig. Der Vormund ist berechtigt, für den von ihm vertretenen Jugendlichen Beschwerde zu führen (§ 59 Abs. 1 FamFG). Denn der Jugendliche wird mit dem angegriffenen Beschluss in seinem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgenden Recht auf Ausübung der elterlichen Sorge allein durch den- bzw. diejenigen Eltern bzw. Elternteile, der bzw. die hierzu von Gesetzes wegen bestimmt sind, beeinträchtigt (vgl. KG, Beschluss vom 23. Juli 2018 - 13 UF 105/18, FamRZ 2018, 1673 [Rz. 6] sowie Sternal/Jokisch, FamFG [21. Aufl. 2023], § 59 Rn. 71 Stichwort "Kind"). Die - zulässige (vgl. nur Zöller/Greger, ZPO [35. Aufl. 2024], Vor § 128 Rn. 25) - Auslegung des Beschwerdevorbringens des Vormunds ergibt, dass von ihm die Zurückverweisung der Sache nach § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG begehrt wird, weil das Verfahren des Familiengerichts nach seinem Dafürhalten an wesentlichen Mängeln leidet und, wie er ausdrücklich hervorhebt, weitere umfangreiche Ermittlungen erforderlich seien.
2. Die Beschwerde ist in der Sache begründet und führt entsprechend des Antrags des Vormunds zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Denn das familiengerichtliche Verfahren leidet, wie der Vormund zu Recht rügt, an schwerwiegenden Mängeln:
a) Das Verfahren über das Ruhen der elterlichen Sorge bestimmt sich, auch wenn der Jugendliche nach allem, was ersichtlich ist, nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, nach deutschem Sachrecht. Denn aufgrund des tatsächlichen Aufenthalts des Jugendlichen im Inland sind deutsche Gerichte zuständig (Art. 11 Abs. 2 Brüssel IIb-VO, Art. 6 Abs. 2, 5 Abs. 1 KSÜ) und vom zuständigen inländischen Gericht wird das eigene (Sach-)Recht angewandt (Art. 15 Abs. 1, 21 Abs. 1 KSÜ).
b) Im Verfahren nach § 1674 BGB ist das Jugendamt von Amts wegen zu beteiligen; das Jugendamt hat zu berichten (§ 162 Abs. 1, 3 FamFG, § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII; vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juli 2012 - 16 WF 111/12, ZKJ 2012, 450 [Rn. 5f.]; KG, Beschluss vom 3. Februar 2016 - 3 WF 8/16, FamRZ 2016, 649 [Rz. 7]). Das Familiengericht hat dabei darauf zu achten, dass sich das Jugendamt dazu erklärt, ob eine vorläufige Inobhutnahme nach § 42a SGB VIII erfolgt ist. Das ist erforderlich, weil im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme eine Altersfeststellung zu erfolgen hat (§ 42f Abs. 1 SGB VIII) und damit geklärt wird, ob der Betroffene (noch) minderjährig ist. Von der Information, ob eine vorläufige Inobhutnahme erfolgt ist, kann weiter die Frage abhängen, ob ggf. eine einstweilige Anordnung zu erlassen ist (vgl. Hammer, FamRZ 2016, 650). Vorliegend ist das Jugendamt vom Familiengericht nicht beteiligt worden.
c) Im Verfahren über das Ruhen ist der betroffene Jugendliche zwingend anzuhören (§...