Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschleunigungsgebot in Haftsachen
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Im Verfahren der besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO bildet allein der zuletzt erlassene und prozessordnungsgemäß bekanntgegebene Haftbefehl den Prüfungsgegenstand. Dies gilt auch dann, wenn der Haftbefehl auf weitere Taten hätte erweitert werden können, tatsächlich aber nicht erweitert worden ist. Mit einer im Eröffnungsbeschluss getroffenen Haftfortdauerentscheidung "nach Maßgabe des Anklagesatzes" kann ein Haftbefehl nicht in prozessual ordnungsgemäßer Weise auf die weiteren Anklagevorwürfe erweitert werden.
2. Im Gerichtsverfahren muss bei der Bearbeitung von Haftsachen der Gesichtspunkt der vorausschauenden Planung im Vordergrund stehen. Die Umstände des Falles können es nahegelegen, für eine zügige Terminierung direkte und schnelle Kommunikationswege (E-Mail, Telefon oder Fax) zu beschreiten.
Normenkette
StPO § 120 Abs. 1, § 121 Abs. 1-2, § 122
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 19.04.2023; Aktenzeichen 384 Gs 129/23) |
Tenor
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. April 2023 - 384 Gs 129/23 - wird aufgehoben.
Gründe
I.
1. Das Amtsgericht Tiergarten hat am 19. April 2023 gegen den am Vortag vorläufig festgenommenen Angeklagten A auf Antrag der Staatsanwaltschaft Berlin einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl erlassen (384 Gs 129/23). Seit diesem Tag wird gegen ihn (ununterbrochen) die Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit vollzogen.
In dem Haftbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, am 18. April 2023 gemeinschaftlich handelnd fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen und dabei zur Ausführung der Tat in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung eingestiegen zu sein (§§ 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, 25 Abs. 2 StGB). Am Tattag soll er sich mit dem weiteren Angeklagten B zu einem Mehrfamilienwohnhaus in der X-Straße in Y begeben, sich unter Einsatz von Einbruchswerkzeug Zugang zur Wohnung der dort dauerhaft lebenden Geschädigten D verschafft und - wie von Anfang an beabsichtigt - Schmuckgegenstände entwendet haben.
Den dringenden Tatverdacht hat das Gericht insbesondere auf die geständigen Angaben des Angeklagten A, die Angaben der Zeugin D sowie der Polizeibeamten gestützt. Diese haben den Angeklagten nach Aktenlage beim Betreten und Verlassen des Wohnhauses beobachtet und vorläufig festgenommen, so dass auch das vom Angeklagten auf der Flucht weggeworfene Diebesgut und das mutmaßlich verwendete Einbruchswerkzeug sichergestellt werden konnte, worauf im Haftbefehl ebenfalls hingewiesen wird. Den Haftgrund der Fluchtgefahr hat das Gericht mit "allenfalls" leicht löslichen Wohnverhältnissen des Angeklagten sowie der ihm angesichts einer einschlägigen mehrjährigen Verurteilung aus dem Jahr 2018 drohenden Fluchtanreiz bietenden Freiheitsstrafe begründet.
Der Großteil der für die Fertigung einer Anklage für diesen Tatvorwurf erforderlichen Ermittlungen war bereits bei Beantragung und Erlass des Haftbefehls abgeschlossen. Im Anschluss erfolgten bis Ende April 2023 lediglich die letzten Ermittlungen zur Zuordnung der aufgefundenen Diebesbeute. Zuletzt ging bei der Staatsanwaltschaft Berlin Ende Mai 2023 das Behördengutachten des Landeskriminalamtes vom 27. April 2023 über die Untersuchung der dem Angeklagten nach der Tat entnommenen Blut- und Urinprobe ein, das einen positiven Befund für den Nachweis von Kokain enthält.
Der Mitangeklagte B wurde zeitgleich mit dem Angeklagten A vorläufig festgenommen und ebenfalls am Folgetag aufgrund eines entsprechenden Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen. Er wurde allerdings mit Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Mai 2023 vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft gegen Meldeauflagen verschont. Vor Erlass der ergangenen Haftbefehle wurde den beiden Angeklagten jeweils eine Pflichtverteidigerin beigeordnet.
2. Neben der im Haftbefehl genannten Tat wurde gegen die Angeklagten wegen weiterer Taten ermittelt, die sie im Zeitraum Februar bis Mitte April 2023 begangen haben sollen. Bei diesen Taten handelt es sich vor allem um (teilweise nicht vollendete) Wohnungseinbruchdiebstähle sowie um einen Anfang April 2023 erfolgten Einbruch in ein Büro, bei dem unter anderem der Schlüssel zu einem PKW der Marke Porsche gestohlen wurde, mit dem der Angeklagte A neun Tage später unter dem Einfluss von Kokain und ohne über eine Fahrerlaubnis zu verfügen verunfallt und anschließend vom Unfallort geflüchtet sein soll. Die polizeilichen Ermittlungen zu diesen Taten begannen jeweils zeitnah nach deren Entdeckung und wurden Ende April 2023 mit der Durchsuchung der mutmaßlichen Wohnräume der Angeklagten und der Vernehmung des Zeugen C Ende abgeschlossen. Auf dieser Grundlage erfolgte auch die spätere Anklage.
3. Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeklagten sowie dem Mitangeklagten B mit der am 2. August 2023 zum Amtsgerich...