Leitsatz (amtlich)
1. Ein bereits vor der mündlichen Verhandlung ausgesprochener Rügeverzicht durch den Beklagten ist wirksam und begründet die Zuständigkeit eines an sich unzuständigen Gerichts, wenn er nicht nur angekündigt, sondern unter Beachtung der Voraussetzungen von § 38 ZPO und mit dem erforderlichen Bindungswillen erklärt wird (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. Februar 2013 - X ARZ 507/12 - Rn. 12).
2. Eine Partei muss gegenüber dem Gericht kein besonderes schutzwürdiges Interesse darlegen, um sich rügelos einlassen zu können oder einen Rügeverzicht zu erklären.
3. Erklärt sich ein Gericht trotz eines wirksamen Rügeverzichts für unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf den Hilfsantrag des Klägers an ein anderes Gericht, kann sich dies als objektiv willkürlich darstellen und zu einer Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO führen.
Normenkette
ZPO §§ 21, 36 Abs. 1 Nr. 6, §§ 38, 281
Verfahrensgang
AG Berlin-Mitte (Aktenzeichen 101 C 3112/16) |
Tenor
Das Amtsgericht Mitte wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die ursprünglich drei Beklagten als Gesamtschuldner aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich in Schönfeld bei Berlin ereignet hat, auf Schadensersatz in Höhe von 1.435,84 Euro sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch. Bei den ehemals Beklagten zu 1) und zu 2), die jeweils in Berlin wohnhaft sind, handelt es sich um die Halterin bzw. den Fahrer des gegnerischen Fahrzeugs. Die ursprünglich als Beklagte zu 3) und nach Abtrennung nunmehr noch als alleinige Beklagte in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung hat ihren Sitz in München. Im Rahmen der vorgerichtlichen Schadensregulierung korrespondierte sie mit dem Kläger unter einer Berliner Postfachanschrift. Die Parteien des Rechtsstreits sind sich darüber hinaus einig, dass der Schadensfall vorgerichtlich in der Berliner Niederlassung der beklagten Versicherung bearbeitet und dort die Regulierungsentscheidung getroffen wurde.
Bereits vor der Zustellung der bei dem Amtsgericht Mitte eingereichten Klage hat die zuständige Richterin dem Kläger mit Verfügung vom 25. Januar 2016 auf Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit hinsichtlich der beklagten Haftpflichtversicherung hingewiesen, weil sich der Unfall nicht Berlin ereignet, die Beklagte ihren Sitz in München habe und auch nicht über eine Niederlassung in Berlin verfüge. Im Falle eine Teilklagerückannahme könne der Rechtsstreit entweder noch Königs Wusterhausen oder nach München verwiesen werden. Andernfalls sei eine Abtrennung des Verfahrens notwendig. Dieser Auffassung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 16. Februar 2016 widersprochen und lediglich hilfsweise eine Verweisung des Rechtsstreits betreffend sämtliche Beklagten an das Amtsgericht Königs Wusterhausen beantragt.
Nach der erst danach von dem Gericht veranlassten Zustellung der Klage hat auch die beklagte Haftpflichtversicherung mit Schriftsatz vom 30. März 2016 einer Verweisung des Rechtsstreits widersprochen und darauf hingewiesen, dass der Schadensfall vorgerichtlich in ihrer Berliner Niederlassung bearbeitet worden sei, weshalb das Amtsgericht Mitte für sämtliche Beklagte zuständig sei. Ferner hat sie vorsorglich erklärt, auf die Rüge der örtlichen Zuständigkeit zu verzichten. Hierauf hat das Amtsgericht Mitte das Verfahren gegen die beklagte Haftpflichtversicherung mit einem Beschluss vom 4. April 2016 zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage abgetrennt und mit einem weiteren Beschluss vom 13. Mai 2016 einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. Mai 2017 anberaumt. In diesem Termin hat der Kläger beantragt, die Zulässigkeit der Klage und die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Mitte festzustellen. Die Beklagte hat sich dem Antrag angeschlossen. In einem nachgelassenen Schriftsatz vom 16. Mai 2017 hat der Kläger erneut beantragt, die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts festzustellen und das abgetrennte Verfahren wieder mit dem Ausgangsverfahren zu verbinden. Lediglich rein vorsorglich und hilfsweise hat der Kläger beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht München zu verweisen.
Nach mehrfacher Verlegung des Termins zur Verkündung einer Entscheidung hat sich das Amtsgericht Mitte schließlich mit einem Beschluss vom 7. Juli 2017 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München verwiesen. Zur Begründung wird in dem Verweisungsbeschluss ausgeführt, dass die Beklagte in Berlin keine Niederlassung im Sinne von § 21 ZPO betreibe, was sich u. a. aus der fehlenden Eintragung im Handelsregister und dem Fehlen eines "Niederlassungsleiters" ergebe. Der von der Beklagten erklärte Verzicht auf die Rüge der örtlichen Zuständigkeit sei irrelevant, weil die Formerfordernisse des § 38 ZPO nicht erfüllt seien. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19. Februar 2013 - X ARZ 507/12. Die gegenteilige...