Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 19.09.2016; Aktenzeichen (304 Cs) 235 Js 3001/16 (128/16)) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. September 2016
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte nicht einer Nötigung, sondern einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 5 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO i.V.m. § 24 Abs. 1 StVG tateinheitlich begangen mit einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 5 Abs. 4 Satz 4, 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO i.V.m. § 24 Abs. 1 StVG schuldig ist, und
b) im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten durch Urteil vom 19. September 2016 wegen Nötigung und Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 25,00 Euro verurteilt und ihm für die Dauer von zwei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Hierzu hat es folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
"Am 1. April 2016 befuhr der Angeklagte mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... den in 13405 Berlin gelegenen Kurt-Schumacher-Damm. Weil er sich über die langsame Fahrweise des vor ihm fahrenden Pkw des Zeugen S... behindert fühlte, überholte er den Zeugen rechts und setzte sich knapp vor dessen Fahrzeug auf die linke Spur, sodass der Zeuge stark abbremsen musste, jedoch keine Vollbremsung durchführte. Der Angeklagte wollte durch sein Verhalten erzwingen, dass der Zeuge abbremsen musste. An der nächsten Lichtzeichenanlage, die rotes Licht abstrahlte, befand sich der Angeklagte vor dem Pkw des Zeugen. Er stieg aus, ging auf das Fahrzeug des Zeugen zu und beschimpfte diesen u.a. mit den Worten "Fotze", wodurch er den Zeugen in seiner Ehre verletzten wollte, was dieser auch so empfand."
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten (Sprung-)Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Antragsschrift zu dem Rechtsmittel ausgeführt:
"Der Sprungrevision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, kann der vorläufige Erfolg nicht versagt werden.
1. Zwar hat der Angeklagte beantragt, das Urteil "im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben". Die Auslegung seines Rechtsmittels aufgrund der Revisionsbegründung ergibt allerdings, dass er die Aufhebung des Urteils jedenfalls im Hinblick auf die Verurteilung wegen Nötigung auch zum Schuldspruch erstrebt. Der nicht auflösbare Widerspruch zwischen ausdrücklichem Revisionsantrag und erkennbar verfolgtem Rechtsschutzziel hat zur Folge, dass die Revision im Wege der Auslegung mangels eines eindeutig zum Ausdruck gebrachten Beschränkungswillens als unbeschränkt zu behandeln ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 StR 528/13 -, juris).
2. Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO hinsichtlich der Verurteilung wegen Nötigung ist als Verfahrensrüge unzulässig, denn der Angeklagte trägt weder vor, dass das Amtsgericht im Urteil Feststellungen getroffen habe, welche nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und nicht durch Vorgänge gewonnen worden sei, die zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehören, noch, dass das Amtsgericht sich im Urteil mit erhobenen Beweisen nicht auseinander gesetzt habe. Eine Revisionsbegründung, die sich nur in Angriffen gegen die Beweiswürdigung erschöpft, genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rdn. 185).
3. Soweit der Angeklagte die Verfahrensrüge der Verletzung der Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO erheben will, weil das Amtsgericht eine Beweiserhebung zu dem beim Einscheren des Angeklagten bestehenden Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen durch Befragung eines Sachverständigen für Unfallrekonstruktion unterlassen habe, ist die Rüge ebenfalls nicht zulässig und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Es wird schon nicht mit der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit behauptet, welches Ergebnis die unterbliebene Beweiserhebung erbracht hätte. Ins Blaue hinein wird im Strafverfahren keine Sachaufklärung betrieben, und es besteht kein Grund, die Gerichte zu zwingen, in der Hauptverhandlung Beweisversuche dieser Art nur deshalb vorzunehmen, weil der Angeklagte oder sein Verteidiger sie wünscht (vgl. KG VRS Bd. 72, 116, 117). Eine Aufklärungsrüge, die ein günstiges Ergebnis nur für "möglich" erachtet, ist unzulässig (BGH NStZ 2004, 112).
4.
a) Mit Recht beanstandet die Revision jedoch, dass das festgestellte Verhalten des Angeklagten nicht den Straftatbestand der Nötigung ...