Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 27.01.2011; Aktenzeichen (551 Rh) 3 Js 1379/09 (800/09, 806/09))

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Rehabilitierungskammer - vom 27. Januar 2011 aufgehoben.

Die unter unbekanntem Datum ergangenen Entscheidungen des Rates des Stadtbezirks Berlin-Treptow, durch die die Unterbringung der Betroffenen im Durchgangsheim Alt-Stralau in Berlin-Treptow von Sommer 1969 bis Februar 1970 und im Jugendwerkhof "Clara Zetkin" in Crimmitschau vom 24. Februar 1970 bis 6. Juli 1971 und von Oktober 1971 bis Mai 1972 angeordnet wurde, werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

Die Betroffene wird insoweit rehabilitiert.

Es wird festgestellt, dass die Betroffene in den Zeiträumen vom 21. Juni 1969 bis 6. Juli 1971 und vom 1. Oktober 1971 bis 31. Mai 1972 zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten hat.

Kosten für das Rehabilitierungsverfahren werden nicht erhoben. Die Landeskasse Berlin hat die der Betroffenen insoweit entstanden notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

I.

Die Betroffene begehrt ihre strafrechtliche Rehabilitierung im Hinblick auf ihre zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt durch den Rat des Stadtbezirks Berlin-Treptow angeordnete Einweisung und Unterbringung in folgenden Einrichtungen:

1. Durchgangsheim Alt-Stralau in Berlin-Treptow von Sommer 1969 bis Februar 1970;

2. Jugendwerkhof "Clara Zetkin" in Crimmitschau (im Folgenden: Jugendwerkhof Crimmitschau) vom 24. Februar 1970 bis zum 6. Juli 1971 und von Oktober 1971 bis April/Mai 1972.

Sie trägt hierzu vor, die im Jahre 1955 geschlossene Ehe ihrer leiblichen Eltern sei nach eineinhalb Jahren geschieden worden. Ihr Vater sei daraufhin in die Schweiz gezogen. Sie, die Betroffene, habe seitdem im Haushalt der Mutter gelebt. Diese habe kurz darauf - 1957 - den A. geheiratet. Diese Ehe sei geschieden worden, als sie, die Betroffene, 12 Jahre alt gewesen sei. Ihre Mutter habe stark dem Alkohol zugesprochen und wechselnde Lebenspartner gehabt. In ihren Beziehungen habe es häufig Gewalt gegeben. Da sie, die Betroffene, Angst vor den Gewaltexzessen gehabt habe, von den Männern auch sexuell belästigt worden sei und mit der Versorgung ihrer kleinen - 1968 geborenen - Halbschwester überfordert gewesen sei, sei sie im Alter von 14 Jahren von zu Hause weggelaufen. Sie sei daraufhin von der Polizei aufgegriffen und in das Durchgangsheim Alt-Stralau gebracht worden, wo sie wie eine Straftäterin behandelt worden sei. Anschließend sei sie - da es keinen Platz in einem Wohnheim für Jugendliche gegeben habe - in den Jugendwerkhof Crimmitschau eingewiesen worden. Dort habe sie sich wie in einem Arbeitslager gefühlt. Bei Regelverstößen seien alle Jugendlichen kollektiv bestraft worden. Die Erziehung habe aus psychischen und körperlichen Misshandlungen bestanden. im Übrigen sei sie, die Betroffene, durch den Heimleiter und einen Erzieher sexuell belästigt worden. Sie sei nach Beendigung ihrer Lehre entlassen worden. Nach kurzzeitigem Aufenthalt bei ihrer Mutter und deren drittem Ehemann, wo sie wiederum Prügeleien und Alkoholismus erlebt habe, sei sie erneut weggelaufen, sodann wieder in den Jugendwerkhof Crimmitschau und anschließend bis zum 15. Mai 1973 in das Spezialkinderheim "Kreuztanne" im Bezirk Gera eingewiesen worden. In den Folgejahren habe sie unter psychischen Problemen gelitten und sich stationären und ambulanten Psychotherapien unterziehen müssen. Auch heute noch befinde sie sich in neurologischer Behandlung, sei auf Psychopharmaka angewiesen und erwerbsunfähig.

Das Landgericht Berlin - Rehabilitierungskammer - hat den Rehabilitierungsantrag der Betroffenen mit Beschluss vom 27. Januar 2011 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Beschwerde macht die Betroffene geltend, die Einweisung sei bereits nach DDR-Maßstäben rechtswidrig gewesen und habe eine das Kindesinteresse missachtende menschenrechtswidrige Unterbringung zur Folge gehabt. Die Auswahl der Heime habe nicht den Vorschriften der DDR entsprochen. Im Übrigen ergebe sich die Rechtswidrigkeit der Einweisung auch daraus, dass der seit Ende der 1950er Jahre in der Schweiz lebende leibliche Vater der Betroffenen, der Zeuge P., zu deren Aufnahme bereit gewesen sei. Er habe sich im November 1969 schriftlich an das Durchgangsheim Alt-Stralau und an das Jugendamt gewandt und gebeten, seine Tochter ausreisen zu lassen, habe jedoch keine Antwort erhalten.

Der Senat hat die Beschwerde der Betroffenen mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 verworfen, da die Voraussetzungen der § 2 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 StrRehaG nicht erfüllt seien. Zur Begründung hat der Senat unter anderem ausgeführt, dass sich aus der von der Betroffenen geltend gemachten Vermeidbarkeit der Heimunterbringung durch Aufnahme im Haushalt ihres Vaters ein Rehabilitierungsanspruch nicht herleiten lasse, da das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz nicht den Zweck habe, die Ausreisepraxis der DDR aufzuarbeiten und Betroffene dafür zu entschädigen...

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