Leitsatz (amtlich)

Zu den schutzwürdigen Umständen (hier: den Beschuldigten betreffend), die nach § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO der Akteneinsicht des Nebenklägervertreters entgegenstehen können.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 22.10.2018; Aktenzeichen (523 KLs) 284 Js 896/18 (14/18))

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 23. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 22. Oktober 2018 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Beiakte des Amtsgerichts Tiergarten - (396) 70 Js 1145/04 Ls (66/06) - von der gewährten Akteneinsicht für die anwaltliche Vertreterin der zugelassenen Nebenklägerin X ausgenommen ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Mit Anklageschrift vom 25. Juni 2018 legt die Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeschuldigten zur Last, an nicht mehr näher bestimmbaren Tagen zwischen dem 26. Mai 1998 und dem Jahr 2003 in zwölf Fällen die am 29. November 1990 geborene Zeugin X - die Tochter seiner damaligen Lebenspartnerin Z - zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs jeweils im Vaginal- bzw. Analbereich berührt zu haben. In zehn Fällen soll er dabei jeweils seine Finger zwischen die inneren Schamlippen des Mädchens gelegt haben. Weiter wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, in mindestens fünf Fällen auch die Schwester der Zeugin X - die am 14. Juni 1988 geborene Zeugin Y - jeweils im Intimbereich gestreichelt zu haben. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat die zuständige Strafkammer des Landgerichts Berlin bisher nicht entschieden; mit Blick auf die zu treffende Entscheidung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass dem Angeschuldigten im abstrakten Anklagesatz der vorliegenden Anklageschrift "18 selbständige Handlungen" zur Last gelegt werden, während die sachverhaltsbezogene Wiedergabe der verwirklichten Strafvorschriften im konkreten Anklagesatz lediglich die dargestellten 17 Fälle umfasst. Die mangelnde Kongruenz ist offenkundig auf die fehlerhafte Bezeichnung von "mindestens fünf Fällen" als Taten zu "13.-18." zurückzuführen.

Mit Beschluss vom 3. September 2018 hat das Landgericht Berlin festgestellt, dass sich die Zeugin X als Nebenklägerin wirksam der öffentlichen Klage angeschlossen hat. Zugleich wurde ihr die bereits im Ermittlungsverfahren durch das Amtsgericht Tiergarten zu ihrem Beistand bestellte Rechtsanwältin P (erneut) beigeordnet. Letztere hatte - ebenfalls bereits im Ermittlungsverfahren - Akteneinsicht beantragt; diesbezüglich hat der Vorsitzende dem Angeschuldigten mit Schreiben vom 3. September 2018 über seinen Verteidiger rechtliches Gehör gewährt.

Der Angeschuldigte ist der Auffassung, dass der Nebenklagevertreterin die beantragte Akteneinsicht jedenfalls insoweit zu versagen sei, als es die Protokolle der polizeilichen Vernehmung ihrer eigenen Mandantin - der Rechtsanwältin P in Teilen beigewohnt hatte - und derjenigen ihrer Schwester betrifft. Er trägt hierzu vor, da beide Schwestern "einem Lager" angehörten, bestehe vorliegend "eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation", so dass durch die Gewährung von Akteneinsicht in die protokollierten Aussagen der Belastungszeuginnen der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte. Etwaige Zusicherungen der Nebenklagevertreterin, den zu ihrer Kenntnis gelangten Akteninhalt ungeachtet möglicher Unterrichtungspflichten nach § 11 BORA (Berufsordnung für Rechtsanwälte) nicht an ihre Mandantin weiterzugeben, seien "weder kontrollierbar noch durchsetzbar".

Die Nebenklägerin macht geltend, dass eine Beschränkung der Akteneinsicht für ihre anwaltliche Vertreterin dazu führen würde, dass sie ihre gesetzlichen Rechte, wie sie die Beteiligung als Geschädigte am Strafverfahren vorsehe, nicht sinnvoll ausüben könne. Weder könnten Wertungen der Anklage im Hinblick auf etwaige Abweichungen vom Akteninhalt oder im Hinblick auf dessen rechtliche Bewertung kritisch beleuchtet werden, noch könnte zu entsprechenden Äußerungen anderer Verfahrensbeteiligter - möglicherweise auch im Rahmen von Vorgesprächen - inhaltlich Position bezogen werden. Auch sei es der Nebenklagevertreterin ohne Aktenkenntnis nicht möglich, den (bisher von seinem Schweigerecht Gebrauch machenden) Angeschuldigten verständig zu befragen, sollte er sich in der Hauptverhandlung zur Sache einlassen. In der zeugenschaftlichen Vernehmung der Nebenklägerin selbst könnten etwaige falsche Vorhalte und/oder Suggestivfragen nicht beanstandet werden, sollten diese mangels Aktenkenntnis nicht als solche erkannt werden.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. Oktober 2018 hat der Strafkammervorsitzende entschieden, der Nebenklagevertreterin vollumfängliche Akteneinsicht zu gewähren. Hiervon umfasst ist neben der Hauptakte auch die im hiesigen Beschlusstenor aufgeführte Beiakte, die in der Begründung der angefochtenen Entscheidung keine gesonderte Erwähnung findet. Der gegen den Beschluss gerichteten Beschwerde des Angeschuldigten hat der Strafkammervorsitzende mit Vermerk vom 31. Oktober 2018 nicht abgeholfen ...

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