Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert.
2. Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken.
3. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, die innere Tatseite zu ermitteln und darzustellen, nicht aber Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem geschilderten äußeren Sachverhalt darauf zu schließen, welche Vorstellungen sich das Tatgericht möglicherweise von der inneren Tatseite gemacht hat.
4. Die vom Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit valide zu schätzen und das Ergebnis darzulegen, ist nicht Aufgabe des Revisions-, sondern diejenige des Tatgerichts. Bei versierten polizeilichen Zeugen können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen zu erwarten und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung gegebenenfalls ohne Abschlag zu übernehmen sein.
5. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält.
6. Als nicht per se rechtsfehlerhaft, aber als problematisch muss es gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen die Würdigung der den Angeklagten belastenden Beweise darauf beschränkt, der Sachverhalt stehe fest aufgrund der „uneidlichen Bekundungen der Zeugen“. Bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten oder bei anderweitig schwieriger Sachlage wird eine derart inhaltslose Phrase in aller Regel die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung verfehlen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 15.10.2020; Aktenzeichen (345 Ds) 3031 Js 204/20 (13/20)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Oktober 2020 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Zugleich hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und für die Wiedererteilung eine Sperrfrist von sechs Monaten festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision, das mit der Sachrüge Erfolg hat.
1. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils entsprechen nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach dieser Vorschrift müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Das bedeutet, dass der festgestellte Sachverhalt so darzustellen ist, wie er sich nach Überzeugung des Gerichts abgespielt hat; zum inneren und äußeren Tatgeschehen sind Tatsachen mitzuteilen, so dass dem Revisionsgericht die Überprüfung der rechtlichen Würdigung ermöglicht wird (BGH VRS 138, 148; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 1). Ein Mangel des Urteiles liegt demzufolge vor, wenn unklar bleibt, von welchem Sachverhalt das Tatgericht ausgegangen ist (vgl. BGH VRS 138). Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert (vgl. Senat NZV 2019, 314 [Volltext bei juris]).
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht vollständig gerecht. Denn sie ergeben nicht, durch welche bestimmten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale des äußeren und inneren Tatbestandes der angewendeten Strafvorschrift aus der Sicht des Tatrichters erfüllt werden. Dies gilt zunächst für die gesamte innere Tatseite, aber auch für das im Zusammenhang mit § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zentrale Merkmal der vom Angeklagten erreichten Höchstgeschwindigkeit.
a) Auch und gerade die Vorschrift des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erfordert eine gründliche Ermittlung und Darstellung der inneren Tatseite. So müssen die Feststellungen erweisen, dass der Täter nicht nur deliktisch allgemein vorsätzlich, sondern auch rücksichtslos und mit einer "Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht" gehandelt hat. Die im Urteil dem Abschnitt II. folgenden Feststellungen enthalten keinerlei Ausführungen zur inneren Tatseite. Weder bezeichnen sie die allgemeine Motivation des Angeklagten noch lassen sie erkennen, unter welchem Gesichtspunkt der Angeklagte tatbestandlich rücksichtslos gehandelt hat. Auch zur Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen, findet sich nichts. Dabei ist es Aufgabe des Tatger...