Leitsatz (amtlich)
Zur Rücknahme der Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers nach dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens
Normenkette
StPO § 143
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 20.01.2009; Aktenzeichen 1 AR 90/08) |
Tenor
Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 28. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 20. Januar 2009 wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihrer Beschwerde zu tragen.
Gründe
Gegen die Angeklagte fand in der Zeit vom 11. August 2008 bis zum 4. Februar 2009 die Hauptverhandlung vor der 28. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin statt. Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe nimmt der Senat auf den Inhalt der Anklageschrift vom 11. April 2008 Bezug. Ursprünglich hatte die Hauptverhandlung gegen neun Angeklagte begonnen; zuletzt wurde noch gegen sechs Angeklagte verhandelt. Am 15. Verhandlungstag, dem 8. Dezember 2008, wurde das Verfahren gegen die Angeklagte abgetrennt, während es gegen die übrigen noch verbliebenen fünf Angeklagten mit Urteil endete. Am 19. Verhandlungstag sprach die Kammer auch gegen die Angeklagte ein - nicht rechtskräftiges - Urteil.
Mit Beschluss vom 20. Januar 2009 - nach dem 17. Verhandlungstag - hat die Strafkammervorsitzende die Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers Rechtsanwalt X zurückgenommen. Dieser war der Angeklagten am 1. Juli 2008 wegen neben dem bereits im Ermittlungsverfahren zum Verteidiger bestellten Rechtsanwalt Y beigeordnet worden. Zur Begründung der Entpflichtung hat die Vorsitzende ausgeführt, dass die durch den Umfang der bevorstehenden Beweisaufnahme sowie die Vielzahl der Angeklagten und Verteidiger geprägte Verfahrenslage, die zur Bestellung von Rechtsanwalt X als zweitem Verteidiger geführt habe, entfallen sei, nachdem das Verfahren gegen die übrigen acht Angeklagten abgeschlossen sei; insbesondere Terminsabsprachen gestalteten sich nunmehr einfach.
Hiergegen hat Rechtsanwalt X am 26. Januar 2009 für die Angeklagte Beschwerde eingelegt, nachdem die Angeklagte ihn am 22. Januar 2009 zum Verteidiger gewählt hatte.
Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung der Vorsitzenden um eine solche, die der des erkennenden Gerichts gleichzustellen ist. Sie steht jedoch nicht in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und diente nicht ausschließlich deren Vorbereitung; sie unterlag nicht beim Urteilsspruch nochmals der Überprüfung durch das Gericht und hat eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. KG, Beschluss vom 28. November 2008 - 3 Ws 379/08 -; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 305 Rdn. 1 m.w.N.).
Das Rechtsmittel ist auch nicht prozessual überholt, da die Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. KG, Beschluss vom 13. Juni 2001 - 3 Ws 312/01 -).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zutreffend ausgeführt, dass die Zurücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt X nicht zu beanstanden ist. Nach Abschluss des Verfahrens in der Tatsacheninstanz besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit mehr, mit der Aufrechterhaltung der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers den Fortgang der Hauptverhandlung zu sichern (vgl. KG a.a.O.). Dass die Bestellung hier diesem (Sicherungs-)Zweck diente, liegt angesichts dessen, dass der Beschwerdeführerin nur sieben der insgesamt 55 zur Anklage gelangten Tatvorwürfe zur Last fielen, auf der Hand. Ein Ausnahmefall, in dem die sachgerechte Wahrnehmung der Rechte der Angeklagten auch im Revisionsverfahren noch die Tätigkeit eines zweiten Verteidigers geböte (vgl. hierzu Senat , Beschluss vom 13. Dezember 1993 - 4 Ws 291/93 und 304/93 -), ist nicht gegeben. Ob ein eventuelles Vertrauen der Angeklagten auf den Fortbestand der Beiordnung zweier Verteidiger schutzwürdig wäre, braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn ein solcher Vertrauensschutz wirkte nur bis zum Abschluss der Hauptverhandlung (vgl. KG, Beschluss vom 1. März 1996 - 5 Ws 108/96 - m.w.N.).
Die Tatsache, dass die Angeklagte nunmehr Rechtsanwalt X als Wahlverteidiger mit ihrer Verteidigung beauftragt hat, hatte zwar für die hier zu treffende Entscheidung keine Bedeutung; sie wird aber in Bezug auf die Bestellung von Rechtsanwalt Y zu beachten sein (§ 143 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Fundstellen