Leitsatz (amtlich)

Zum Ansatz fiktiver Sachverständigenkosten für Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft als Kosten des Verfahrens

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 21.09.2006; Aktenzeichen 536 Qs 182/06 - P 14/83 Js 605/05 VRs)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde der Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. September 2006 wird verworfen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die Beschwerdeführerin ist durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 25. August 2005 wegen Untreue in sieben Fällen, Insolvenzverschleppung in elf Fällen und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in vier Fällen zu einer auf Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einer Gesamtgeldstrafe von 220 Tagessätzen zu je 40,00 EUR verurteilt worden. Zugleich sind ihr die Kosten des Verfahrens auferlegt worden. Der Strafbefehl - einschließlich der Kostenentscheidung - ist seit dem 4. Oktober 2005 rechtskräftig.

Das dem Strafbefehl zugrunde liegende Ermittlungsverfahren, ein außerordentlich umfangreiches und komplexes Wirtschaftsstrafverfahren, ist ursprünglich gegen die Beschwerdeführerin und sechs weitere Beschuldigte geführt worden. Nachdem in dem Ursprungsverfahren zahlreiche Unterlagen sichergestellt worden waren, hatte die Staatsanwaltschaft am 13. September 2000 zwei Bilanzbuchhalterinnen, die bei der Staatsanwaltschaft als Wirtschaftsreferentinnen tätig sind, mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Gegenstand des Gutachtens war die Auswertung der Unterlagen aus betriebswirtschaftlicher Sicht, wobei die Beweisthemen konkret benannt wurden, so z.B. das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Konzerns im Sinne des § 18 AktG, der Zustand der Buchführung, das Vorliegen und der Zeitpunkt von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, Anhaltspunkte für inkongruente Befriedigungen von Gläubigern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, Verbleib von Mietkautionsgeldern und ähnliches. Das Gutachten, das 286 Seiten umfasst und für das die Wirtschaftsreferentinnen einen Arbeitsaufwand von insgesamt 3073 Stunden berechnet haben, ist am 20. März 2002 fertig gestellt worden. Da die Beschwerdeführerin im Wesentlichen geständig war, ist das Ermittlungsverfahren gegen sie am 19. August 2005 abgetrennt und durch den eingangs genannten Strafbefehl abgeschlossen worden.

Mit Kostenrechnung vom 1. Februar 2006 hat die Staatsanwaltschaft die Verurteilte zur Zahlung der für die Erstellung des Gutachtens der Wirtschaftsreferentinnen angesetzten Kosten in Höhe von 135.212,00 EUR (3073 Stunden zu je 44,00 EUR) aufgefordert. Ihre dagegen gerichtete Erinnerung hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Das Landgericht hat auf die Beschwerde der Verurteilten die Entscheidung des Amtsgerichts aufgehoben. Es hat eine Verteilung der Kosten nach Kopfteilen als angemessen angesehen und dementsprechend - mit Blick auf die insgesamt sieben Beschuldigten im Ursprungsverfahren - gegen die Verurteilte ein Siebentel der Gesamtkosten, somit einen Betrag von 19.316,00 EUR angesetzt. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Verurteilten, die das Landgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu entscheidenden Frage nach dem Ansatz und der Aufteilung fiktiver Sachverständigenkosten zugelassen hat ( § 66 Abs. 4 GKG).

Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin ( § 66 Abs. 4 Satz 2 GKG).

Grundlage für die Kostentragungspflicht der Verurteilten ist die Kostenentscheidung in dem rechtskräftigen Strafbefehl vom 25. August 2005, durch die ihr die Verfahrenskosten ohne Einschränkungen auferlegt worden sind. § 465 StPO, der die Kostentragungspflicht eines verurteilten Angeklagten regelt, ist mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. BVerfGE 18, 302; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 465 Rdn. 1 m.w.N.). Ein Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung oder gegen "das Resozialisierungsgebot", wie die Beschwerdeführerin meint, liegt nicht vor.

Verfahrenskosten sind neben den Gebühren die Auslagen der Staatskasse ( § 464a Abs. 1 Satz 1 StPO). Darunter fallen auch die durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstandenen Kosten (§ 464a Abs. 1 Satz 2 StPO). Das sind alle Auslagen, die zur Aufklärung der Tatbeteiligung des Angeklagten aufgewendet worden sind, darunter auch die Kosten eines Sachverständigengutachtens (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 127; Meyer-Goßner a.a.O., § 464a Rdn. 2). Sie sind nach Nr. 9015 i.V.m. Nr. 9005 KV GKG in voller Höhe zu erheben, soweit die Beträge nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen ( JVEG) bzw. - wie hier gemäß der Übergangsbestimmung des § 25 Satz 1 JVEG - nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) zu zahlen sind. Das ist bei den verfahrensgegenständlichen Auslagen der Fall.

Nach § 1 Abs. 1 ZSEG wird ein Gutachter für seine gutachterliche Tätigkeit entschädigt, wenn er vom Gericht oder d...

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