Leitsatz (amtlich)
1. Eine Gefährdung des kindlichen Wohls, die einen mehrjährigen Ausschluss des Umgangs zwischen Kind und familienfernem Elternteil rechtfertigt, liegt auch vor, wenn Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der körperlichen und/oder psychischen Unversehrtheit des betreuenden Elternteils gegeben sind, weil davon das Wohl eines siebenjährigen, von Geburt an in der Obhut des gefährdeten Elternteils lebenden Kindes abhängt.
2. Bei einem hinreichenden Inlandsbezug bestimmen sich die Maßstäbe, an denen das "Kindeswohl" im Sinne von § 1684 Abs. 4 BGB zu messen ist, nicht nach den Wertvorstellungen ausländischer Kulturkreise, sondern nach der Werteordnung des Grundgesetzes und den im Inland anerkannten gesellschaftlichen Werte- und Moralvorstellungen.
3. Nachdem Art. 9 Abs. 3 UN-Kinderrechtskonvention das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, nur gewährt, soweit dies nicht seinem Wohl widerspricht, bietet die UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 im Ergebnis kein höheres Schutzniveau als bereits durch § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB vermittelt wird.
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 93 F 74/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Vaters gegen den am 16. Dezember 2019 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg - 93 F 74/18 - wird auf dessen Kosten nach einem Beschwerdewert von 3.000 EUR zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Vater wendet sich gegen den am 16. Dezember 2019 erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem sein Umgang mit dem gemeinsamen Sohn, dem heute etwa sieben Jahre alten ... bis zum 12. Geburtstag des Jungen am ... 2025 ausgeschlossen wurde.
... ist der im ... 2013 in Afghanistan geborene, aus der im Verlauf des Jahres 2016 rechtskräftig geschiedenen Ehe der Beteiligten hervorgegangene Sohn.
Beide Beteiligten kommen aus Afghanistan: Der Vater soll einer gebildeten Familie aus K ... entstammen; sein eigener Vater soll als Ingenieur und seine Mutter soll an der Universität K ... als Dozentin für persische und englische Literatur tätig gewesen sein. Unter großen Mühen, nachdem die Familie mehrfach vor Kriegswirren oder dem Bürgerkrieg habe fliehen müssen, soll der Vater die Hochschulzugangsberechtigung erlangt und persische Literatur zunächst in Afghanistan und später, nach einer weiteren Flucht vor Krieg bzw. Bürgerkrieg, in Pakistan studiert haben. Nach Afghanistan zurückgekehrt, soll er zunächst mehrere Jahre als Büroleiter für eine deutsche Entwicklungshilfeagentur in K ... und später, nachdem er diese Anstellung aufgrund seiner zunehmenden persönlichen Gefährdung aufgeben musste, für ein afghanisches Exportunternehmen gearbeitet haben. Er spricht gut Deutsch. In B ... war er zeitweilig als Büromanager einer Privatschule tätig, die u.a. Deutschkurse anbietet. Die Mutter hat eine höhere Schulbildung durchlaufen und soll ebenfalls über die afghanische Hochschulzugangsberechtigung verfügen. Sie soll sich um eine Ausbildung im medizinischen Bereich bemühen.
Der Vater, der damals etwa 33 Jahre alt war, soll die Mutter, die seinerzeit 18 Jahre alt war, durch Vermittlung einer seiner Schwestern Anfang 2012 in K ... kennengelernt haben. Nach einem einmaligen persönlichen Treffen und gegen Zahlung eines Brautgeldes von 6.000 US$ sollen sich Mutter und Vater verlobt haben. Die von den beiderseitigen Familien arrangierte Ehe soll im Juni 2012 geschlossen worden sein. Bereits in K ... soll die Ehe weder konfliktfrei noch glücklich verlaufen sein; Mutter und Vater sollen sich kaum gekannt haben. Im Januar 2013, nach etwa sechs Monaten Ehe, soll der Vater die Gelegenheit, dass das Unternehmen, für das er in K ... tätig war, ihn zu einer Messe in B ... entsandte, genutzt haben, um in Deutschland politisches Asyl zu beantragen. Der Mutter, die seinerzeit bereits mit ... schwanger war, soll er von seinen Plänen nichts berichtet haben. Im Mai 2015 wurde ihm politisches Asyl gewährt und er als Flüchtling anerkannt. Bereits im November 2014 war es dem Vater gelungen, die Mutter und seinen mittlerweile etwa 11/2-jährigen Sohn, den er bei dieser Gelegenheit erstmals kennenlernte, in das Inland nachzuholen.
Die Streitigkeiten, die bereits für das Eheleben in K ... kennzeichnend gewesen sein sollen, setzten sich im Inland fort. Sie wurden sowohl verbal als auch körperlich ausgetragen. Sie kreisten im Wesentlichen um finanzielle Dinge wie u.a. das Familienleben oder unterschiedliche Lebensentwürfe und -vorstellungen von Mutter und Vater. Der Vater war psychisch zunehmend angegriffen und litt an diversen psychosomatischen Erkrankungen. Anlässlich eines stationären Aufenthaltes in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses wurde bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, die wahrscheinlich auf seine Erlebnisse in Afghanistan und die von ihm dort erlittene Verfolgung zurückgeht.
Im März 2015 eskalierte ein Streit zwischen Mutter und Vater über die...