Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsanwalt gibt Anlaß zur Sorge, er werde die Verteidigung nicht mehr sachgerecht führen, wenn er gegenüber dem Beschuldigten eines Sicherungsverfahrens zunächst ankündigt, er werde die Revision ungeachtet bestehender Auffassungsgegensätze noch begründen, kurz vor dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist aber mitteilt, er werde dies unterlassen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 02.06.2008; Aktenzeichen (501) 91 Js 2742/07 KLs (1/08)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluß des Vorsitzenden der Strafkammer 1 des Landgerichts Berlin vom 2. Juni 2008 aufgehoben.
Die Bestellung von Rechtsanwalt K wird zurückgenommen.
Die Sache wird zur weiteren Entscheidung über den Antrag des Beschuldigten auf Bestellung eines neuen Verteidigers an das Landgericht zurückgegeben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
I.
Gegen den Beschuldigten wurde im Sicherungsverfahren durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. März 2008 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen hat der beigeordnete Verteidiger Rechtsanwalt K. für den Beschuldigten rechtzeitig Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist lief am 29. Mai 2008 ab, ohne daß eine Begründung einging.
Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2008 - Eingang bei Gericht am 30. Mai 2008 - beantragte der Verteidiger die Aufhebung seiner Beiordnung. Schon zu Beginn der Hauptverhandlung am 19. Februar 2008 hatte er einen Entpflichtungsantrag gestellt. Diesen hatte der Kammervorsitzende am selben Tage abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Verteidiger habe zwar erklärt, nach einem Schreiben des Beschuldigten, mit dem dieser die Verteidigertätigkeit kritisch dargestellt hatte, habe er - der Verteidiger - erstmal "kein Lust mehr gehabt", sich zu "Dienst nach Vorschrift" entschlossen und deshalb vor der Hauptverhandlung die Akten mit dem Beschuldigten nicht mehr weiter besprochen. Darin liege aber ein einmaliges und kein schwerwiegendes Versäumnis, das die Entpflichtung rechtfertige.
Zur Begründung seines erneuten Antrags verwies Rechtsanwalt K. auf seine Korrespondenz mit dem Beschuldigten nach der Hauptverhandlung. Darin hatten der Beschuldigte, der seit vielen Jahren an einer chronifizierten, unkorrigierbaren wahnhaften Störung mit Beziehungs- und Beeinträchtigungsideen leidet, die "Mandatsniederlegung" und der Verteidiger die "Mandatskündigung" ausgesprochen. Mit Schreiben vom 19. Mai 2008 hatte der Beschuldigte dem Verteidiger ausdrücklich "verboten", im Revisionsverfahren noch "in irgendeiner Weise (Revisionsbegründung o.ä.") tätig zu werden; er habe für das Revisionsverfahren bereits einen anderen Rechtsanwalt beauftragt. Zugleich mit seinem Entpflichtungsantrag beantragte Rechtsanwalt K., die Frist für die Begründung der Revision um einen Monat nach der Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers zu verlängern. Eine Begründung der Revision durch ihn werde nicht erfolgen, da er nicht gegen den eindeutigen Willen seines Mandanten handele. Mit Schreiben vom 15. Mai 2008 an den Beschuldigten hatte Rechtsanwalt K. indessen noch angekündigt, ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten und "Mandatskündigung" werde er die Revisionsbegründung vornehmen; um Weiteres als die Begründung der Revision werde er sich allerdings nicht mehr kümmern.
Mit dem angefochtenen Beschluß lehnte der Vorsitzende der Strafkammer die Aufhebung der Beiordnung und Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers ab.
Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde, die er zugleich an das Landgericht und das Kammergericht richtete. Zur Begründung verweist er darauf, daß seiner Auffassung nach das Hauptverfahren nicht hätte eröffnet werden dürfen; die Gutachterin sei befangen gewesen, und die Richter hätten vorsätzlich das Recht gebrochen. Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und die Tatsache, daß Rechtsanwalt K. ihn - den Beschuldigten - erst zwei Tage vor Ablauf der Frist in Kenntnis gesetzt habe, daß er die Begründung nicht mehr fertigen werde, belegten ein schuldhaftes Verhalten des Verteidigers. Der angefochtene Beschluß sei - ebenso wie das vorangegangen Urteil - "Müll".
II.
Die zulässige Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) des Beschuldigten hat Erfolg.
Es ist anerkannt, daß über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist (vgl. Laufhütte in KK-StPO 5. Aufl., § 143 Rdn. 45). Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238 , 244 f.; KG JR 1982, 349 ). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen Beschuldigtem und Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu ha...