Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitsbestimmungsbestimmungsverfahren: Negativer Kompetenzkonflikt zwischen zwei Zivilkammern desselben Landgerichts; Erfordernis der Bekanntgabe der Entscheidungen über die Unzuständigkeit durch die beteiligten Spruchkörper; abstraktes Schuldanerkenntnis.
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einer Zivilkammer mit einer Spezialzuständigkeit nach § 72a GVG und einer allgemeinen Zivilkammer desselben Landgerichts ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar.
2. Eine Zuständigkeitsbestimmung durch das im Rechtszug übergeordnete Oberlandesgericht setzt auch in diesem Fall voraus, dass sich die an der Zuständigkeitsstreitigkeit beteiligten Spruchkörper jeweils "rechtskräftig" für unzuständig erklärt haben, was eine Bekanntgabe der jeweiligen Entscheidungen an die Parteien erfordert. Eine solche Bekanntgabe kann im Einzelfall auch durch die inhaltliche Wiedergabe des Abgabevermerks eines Spruchkörpers in dem nachfolgenden Vorlagebeschluss des anderen Spruchkörpers erfolgen.
3. Eine Streitigkeit aus einem abstrakten Schuldanerkenntnis begründet eine gesetzliche Zuständigkeit nach § 72a GVG, sofern der anerkannte Anspruch aus einem in der Vorschrift aufgeführten Rechtsverhältnis herrührt.
Normenkette
BGB §§ 781; GVG § 72a S. 1 Nr. 2; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 11 O 344/20) |
LG Berlin (Aktenzeichen 32 O 305/20) |
Tenor
Die Zivilkammern für Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen des Landgerichts Berlin werden als funktional zuständige Spruchkörper bestimmt.
Gründe
I. Die Beklagte ist als Bauträgerin tätig. Sie sowie wie weitere mit ihr verbundene Unternehmen beauftragten die Klägerin mit der Herstellung und dem Einbau zahlreicher Küchen im Rahmen verschiedener größerer Bauvorhaben. Mit einem Schreiben 12. Oktober 2020 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin "als abstraktes Schuldanerkenntnis ... fällige Verbindlichkeiten i. H. v. EUR 1.657.636,14 brutto" anzuerkennen. Nur zur Darstellung der Einzelforderungen werde auf eine beigefügte Forderungsaufstellung verwiesen.
Die Klägerin hat gestützt auf dieses Schriftstück beim Landgericht Berlin eine Klage im Urkundenprozess mit dem Antrag erhoben, die Beklagte zur Zahlung von 1.657.636,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten seit dem 1. Juli 2020 zu verurteilen. Die Vorsitzende der zunächst angegangenen allgemeinen Zivilkammer 11 hat die Sache mit einem den Parteien nicht bekanntgegebenen Vermerk vom 11. Dezember 2020 unter Hinweis auf § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG an die im Turnus zuständige Baukammer abgegeben. Die hierauf mit dem Rechtsstreit befasste Zivilkammer 32 hat sich nach Zustellung der Klage und Anhörung der Parteien mit einem Beschluss vom 11. Februar 2021 ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Eine gesetzliche Sonderzuständigkeit nach § 72a Satz 1 Nr. 2 GVG sei entgegen der Auffassung der Zivilkammer 11 nicht begründet, weil die Klägerin ihren Anspruch auf ein abstraktes Schuldanerkenntnis und nicht auf den zugrundeliegenden Anspruch aus dem Bauvertrag stütze.
II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen. Ferner liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung auch der Sache nach vor. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nach seinem Wortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte (und nicht einzelne Spruchkörper) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Allerdings ist die Vorschrift entsprechend anwendbar, wenn mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts um ihre Zuständigkeit streiten und die Entscheidung des Kompetenzkonflikts nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, sondern von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abhängt. Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch für die von dem Gesetzgeber neu geschaffenen §§ 72a, 119a GVG (Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 212; OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. April 2018 - 13 SV 6/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 1 AR 990/18, MDR 2018, 1015; Zöller/Lückemann, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 72a GVG Rn. 2; Klose MDR 2017, 793 [795]).
Ferner liegen auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor, nachdem sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörper jeweils "rechtskräftig" im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt haben. Hierfür ist zunächst erforderlich, dass die betreffenden Entscheidungen den Parteien mitgeteilt wurden, so dass es sich nicht nur um gerichtinterne Vorgänge, sondern um Entscheidungen mit Außenwirkung handelt (BGH, Beschluss vom 1. Juni 1988 - IVb ARZ 26/88 -, FamRZ 1988, 1256; Senat, Beschluss vom 22. März 2018 - 2 AR 11/18, NJW-RR 2018, 639; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36 Rn. 35 m. w. N.). Vorliegend hat die Zivilkammer 11 ihre Abgabeentsc...