Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 17.05.2006; Aktenzeichen 542 StVK 129/06 Vollz) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen werden der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 17. Mai 2006 und der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel - Sozialtherapeutische Anstalt - vom 19. Januar 2006 - LSothAa - 451 E - 1262/01 - aufgehoben.
Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, über den Antrag des Gefangenen auf die Gewährung von Tagesausgängen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Gefangenen in beiden Rechtszügen zu tragen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 2.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Gefangene verbüßt zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Tegel eine lebenslange Freiheitsstrafe. Mit Bescheid vom 19. Januar 2006 hat ihm die Vollzugsbehörde die Gewährung selbständiger Lockerungen in Form von Tagesausgängen verwehrt. Mit dem angefochtenen Beschluß vom 17. Mai 2006 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung ( § 109 Abs. 1 StVollzG) vom 3. Fe-bruar 2006 abgelehnt, die Anstalt zu verpflichten, ihm die begehrten Lockerungen zu gewähren. Seine Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
I.
Das Stadtgericht Berlin (Ost) verurteilte den - bereits 1967 im Alter von 18 Jahren erstmals wegen Vergewaltigung seiner 16-jährigen Freundin straffälligen - Antragsteller am 15. August 1980 wegen Mordes in Tateinheit mit Raub sowie wegen weiterer Straftaten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Während der Strafverbüßung in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg waren ihm seit September 1990 unselbständige Lockerungen, seit 1991 selbständige Lockerungen in Form von Urlaub und Ausgang gewährt worden; seit Mai 1993 befand er sich im Freigang. Das Landgericht Potsdam stellte mit Beschluß vom 23. November 1994 die besondere Schwere der Schuld fest (indem es den diesbezüglichen Ausführungen der Staatsanwaltschaft in deren Antragsschrift nicht entgegentrat), bestimmte die Mindestverbüßungsdauer auf 16 Jahre und setzte die Strafvollstreckung mit Wirkung vom 11. August 1995 zur Bewährung aus. Die Ausführungen im angefochtenen Beschluß, die besondere Schwere der Schuld sei noch nicht festgestellt (S. 3 BA) binden den Senat nicht, da sie angesichts der Vollstreckungslage offensichtlich falsch sind: Eine Mindestverbüßungsdauer von mehr als 15 Jahren setzt die vorherige Feststellung der besonderen Schwere der Schuld voraus (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl., § 57a Rdnrn. 16, 18).
Am selben Tage (11. August 1995) wurde der Antragsteller aus der Haft entlassen. Bereits in der Nacht vom 29. zum 30. September 1995 begab er sich auf eine lange Zechtour, an deren Ende er am Vormittag des 30. September 1995 eine Mitarbeiterin der Gaststätte unter Einsatz massiver körperlicher Gewalt sowie einer Pistole erheblich verletzte und beraubte sowie versuchte, sie zu vergewaltigen. Am 1. Oktober 1995 wurde er wieder inhaftiert; seitdem befindet er sich ununterbrochen in Haft. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn am 14. Februar 1996 wegen schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung, sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren.
Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde anschließend widerrufen. Der Antragsteller verbüßte die zeitige Freiheitsstrafe bis zum 29. September 2001. Seitdem wird wieder die lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt. Seit dem 8. Oktober 1999 wurde er in unregelmäßigen Abständen - zunächst in Begleitung von drei, später zwei, seit dem 10. Dezember 2003 nur einem Bediensteten - zu seinen Vollzugshelfern ausgeführt. Seit dem 13. Juni 2002 wird die Strafe in der Sozialtherapeutischen Anstalt (SothA) der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vollzogen.
Anfang 2004 beantragte der Gefangene die Gewährung selbständiger Lockerungen in Form von Tagesausgängen. Am 23. April 2004 beschloß die Vollzugsplankonferenz, ein externes Gutachten zur Lockerungseignung einholen zu lassen, das die Aufsichtsbehörde, die Senatsverwaltung für Justiz, am 28. Oktober 2004 in Auftrag gab. Aufgrund des von dem Sachverständigen Dr. S... L... erarbeiteten Gutachtens vom 23. April 2005 befürwortete die SothA der JVA Tegel am 30. Juni 2005 die Zulassung des Gefangenen zu selbständigen Lockerungen. Aus dem Gutachten gehe zwar eine langfristig schlechte Kriminalprognose hervor, weil der Gefangene keinen Zugang zu seiner Sexual- und Aggressionsproblematik gefunden habe. Er sei daher derzeit für den Fall der Entlassung auf Bewährung genauso gefährlich wie seinerzeit im Jahre 1995. Für Vollzugslockerungen sehe der Gutachter jedoch kein Mißbrauchsrisiko. Die Aufsichtsbehörde stimmte dem nicht zu, da das Gutachten eine schlechte kriminalprognostische Langzeitprognose ausweise. Deshalb lasse sich für eine mögliche selbständige Lockerung keine sinnvol...