Leitsatz (amtlich)
Eine Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze des § 56c Abs. 1 Satz 2 StGB liegt angesichts der Bedeutung des betroffenen Grundrechts aus Art. 12 GG nahe, wenn eine Bewährungsweisung einem Berufsverbot gleichkommt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 03.07.2006; Aktenzeichen L 17/ 69 Js 161/98 VRs - 543 StVK 200/03 BwH) |
LG Berlin (Entscheidung vom 20.06.2003) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Verurteilten werden der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 3. Juli 2006 sowie Nr. 4. a) - c) des Beschlusses des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 20. Juni 2003 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Mit Beschluss vom 20. Juni 2003 setzte die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe der durch das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Juni 1999 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln zugleich mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, in sieben Fällen verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten zur Bewährung aus. Die Strafvollstreckungskammer unterstellte den Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers und erteilte ihm die Weisungen, seinem Bewährungshelfer gegenüber regelmäßig im Abstand von vier Monaten seine Erwerbssituation schriftlich nachzuweisen, keinerlei selbstständiger beruflicher bzw. gewerblicher Tätigkeit nachzugehen sowie keinen Warenhandel - insbesondere per Internet - zu betreiben (Nr. 4. a) - c) des Beschlusses vom 20. Juni 2003).
Auf den Antrag des Verurteilten vom 15. Mai 2006, mit dem er die Aufhebung der Weisungen sowie der Unterstellung unter einen Bewährungshelfer erstrebt hat, hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Juli 2006 ihren Beschluss vom 20. Juni 2003 hinsichtlich der Ziffern 4. a) und b) aufgehoben und stattdessen folgende Maßnahmen angeordnet:
a)
Der Verurteilte wird angewiesen, seine Schuldensituation zu ordnen und mit Hilfe einer anerkannten Schuldnerberatungsstelle einen Schuldentilgungsplan zu erarbeiten und diesem den Bewährungshelfer vorzulegen.
b)
Dem Verurteilten wird die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit - ohne Beschäftigung von Arbeitnehmern - im Bereich der Informationstechnik (z.B. PC-Notdienst, Anwenderbetreuung) erlaubt, es sei denn, die Schuldensituation des Verurteilten steht der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit aus Rechtsgründen entgegen.
c)
Der Verurteilte wird angewiesen, seinem Bewährungshelfer im Abstand von vier Monaten bzw. nach Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit im Abstand von drei Monaten gegenüber seinem Bewährungshelfer seine Erwerbs- und Schuldensituation darzulegen.
Die dagegen gerichtete, gemäß § 453 Abs. 2 Satz 1 StPO zulässige Beschwerde des Verurteilten hat im Wesentlichen Erfolg.
1.
Die nachträgliche Änderung von Bewährungsweisungen (§§ 56 c, 56 e StGB) unterliegt der Prüfung durch das Beschwerdegericht lediglich darauf, ob sie gesetzwidrig sind (§ 453 Abs. 2 Satz 2 StPO). Gesetzwidrig ist die getroffene Entscheidung, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Fischer in KK, StPO 5. Aufl., § 453 Rdn. 13).
a)
Die angegriffenen Weisungen sind, soweit sie nunmehr die Schuldensituation des Verurteilten zum Gegenstand haben, unverhältnismäßig.
aa)
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck, der Verfassungsrang hat, verlangt, dass eine Maßnahme unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich und ein milderes Mittel nicht ausreichend ist (vgl. BVerfGE 67, 157, 173 = NJW 1985, 121, 122; Pfeiffer in KK, StPO 5. Aufl., Einleitung Rdn. 30, 31; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., Einleitung Rdn. 20; jeweils mit weit. Nachw.). Das aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Verbot des Übermaßes setzt auch der Rechtmäßigkeit einer sonst zulässigen Maßnahme bei deren Anordnung oder Fortdauer eine Grenze (vgl. BVerfGE 34, 238, 246 = NJW 1973, 891).
bb)
Diesen Grundsätzen werden die angegriffenen Weisungen hinsichtlich der Schuldensituation des Verurteilten nicht gerecht. Es ist nicht ersichtlich, dass sie zu dem jetzigen Zeitpunkt - nach dem Ablauf von mittlerweile über drei Jahren der Bewährungszeit - geeignet und (noch) erforderlich wären. Da davon auszugehen ist, dass die Schulden des Verurteilten in Höhe von etwa 50.000,-- EUR bereits zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 20. Juni 2003 bestanden haben, erschließt sich dem Senat nicht, warum nunmehr derartige Weisungen erforderlich sein sollen, um den Verurteilten von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Sie sind daher unverhältnismäßig.
b)
Soweit dem Verurteilten durch die Weisungen lediglich die Aufnahme einer selbsts...