Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilklage bei gleichzeitiger Geltendmachung von vorprozessual entstandenen Anwaltskosten in voller Höhe

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Mitte

 

Tenor

Das AG Mitte wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Das LG Berlin und das AG Mitte streiten über die sachliche Zuständigkeit in einem Rechtsstreit, in welchem die Klägerin einen Verkehrsunfallschadensersatzanspruch i.H.v. 4.865,97 EUR sowie einen Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten i.H.v. 775,64 EUR geltend macht. Ursprünglich war zwischen den Parteien ein Verkehrsunfallschadensersatzanspruch i.H.v. 9.731,94 EUR im Streit und die Klägerin beauftragte vorprozessual den Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Interessen in diesem Umfang. Später wurde das Verkehrsunfallschadensersatzverlangen der Klägerin zur Hälfte befriedigt, weshalb die Klägerin Klage nur noch i.H.v. 4.865,97 EUR erhob. Das geltend gemachte Anwaltshonorar i.H.v. 775,64 EUR errechnet sich bei Zugrundelegung eines Geschäftswerts von 9.731,94 EUR.

Die Klägerin erhob ihre Klage zum LG Berlin. Dieses wies die Parteien mit Schreiben vom 1.9.2008 darauf hin, dass die sachliche Zuständigkeit des LG nicht gegeben sei, weil der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten eine nicht den Streitwert erhöhende Nebenforderung i.S.d. § 4 ZPO darstelle. Auf Antrag der Klägerin erklärte es sich mit Beschluss vom 4.9.2008 für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das AG Mitte. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 3.2.2009 ebenfalls für sachlich unzuständig und legte die Sache dem KG vor. Zur Begründung führte es an, dass der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten nur insoweit eine Nebenforderung darstelle als der ursprünglich im Streit befindliche Verkehrsunfallschadensersatzanspruch Gegenstand des Rechtsstreites geworden sei. Im Übrigen sei der Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten als Hauptforderung anzusehen. Die Streitwertgrenze von 5.000 EUR sei daher jedenfalls überschritten.

II.1. Das KG ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das LG Berlin und sodann das AG Mitte mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.

2. Das AG Mitte ist nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des LG Berlin sachlich zuständig.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rz. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel zwar in den Entscheidungsgründen oder in einem vorangegangenen gerichtlichen Hinweisschreiben erörtert hat, dabei aber zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt (Senat, Beschluss vom 29.5.2008, 2 AR 25/08, WM 2008, 1571-1572; Beschluss vom 29.5.2008, 2 AR 20/08, KGReport Berlin 2008, 749-751).

b) Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend kein Fall von Willkür festzustellen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa) Zwar hat der BGH vor kurzem entschieden, dass dann, wenn der Kläger neben seiner Hauptforderung auch den Ersatz von Kosten begehrt, welche ihm vorprozessual wegen der Hauptforderung entstanden sind, und die Hauptsache später teilweise für erledigt erklärt wird, die Kosten nur noch teilweise, d.h. nur noch im Hinblick auf den nicht für erledigt erklärten Teil der Hauptforderung, eine Nebenforderung i.S.d. § 4 ZPO darstellen und im Übrigen bei der Streitwertberechnung dem Wert der Hauptforderung hinzuzurechnen sind (BGH, NJW 2008, 999; der Senat hat diese Entscheidung nachvollzogen in KGReport Berlin 2008, 595). Es spricht vieles dafür, diese Regel entsprechend auf den Fall anzuwenden, in dem der Kläger von vornherein die Hauptforderung nur zum Teil, die Kosten aber in voller Höhe einklagt (so im Ergebnis Senat, a.a.O.).

Jedoch ist zu berücksichtigten, dass vor der Entscheidung BGH, NJW 2008, 999 namhafte Stimmen in Rechtsprechung und Schrifttum die gegenteilige Auffassung vertreten haben, wonach vorprozessuale Kosten in voller Höhe von § 4 ZPO erfasst werden, solange auch nur ein Teil der Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreites ist (so u.a. OLG Köln MDR 1992, 410; Herget in Schneider, Streitwertkommentar, 11. Aufl. 1996, Rz. 1525 mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstreites). Diese abweichende Auffassung hat in Bezug auf die - vergleichbar...

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