Leitsatz (amtlich)
Bei sog. Grenzpendlern (hier: zwischen Deutschland und Polen) bestimmt sich die internationale Zuständigkeit in Erbsachen ab dem 17.08.2015 nach Art. 4 ff EuErbVO und damit grundsätzlich nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Letzterer ist unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der persönlichen familiären Eingliederung des Erblassers in den (Aufenthalts-)Mitgliedstaat unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe 23 und 24 der EuErbVO zu bestimmen. Dies kann dazu führen, dass der gewöhnliche Aufenthalt eines bejahrten Grenzpendlers, der im Zweitstaat nicht integriert ist, beim Erststaat verbleibt, obwohl dieser keinen Wohnsitz mehr dort hat. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich dann nach nationalem Recht und knüpft gem. § 343 Abs. 2 FamFG n.F. an den letzen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an.
Normenkette
FamFG §§ 97, 343 Abs. 2 Fassung: 2016-06-29; EuErbVO Art. 4; InterErbRVG § 42 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Pankow/Weißensee |
Tenor
Das Verfahren über die Entgegennahme der Erklärung der Tochter des Verstorbenen, mit der diese die Erbschaft ausschlägt, ist beim AG Pankow-Weißensee zu führen.
Gründe
I. Die AG Pankow-Weißensee und Wedding streiten über die Zuständigkeit in einem Nachlassfall mit Auslandsberührung. Der Erblasser hatte bis zum 11.2.2010 seinen Erstwohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des AG Wedding. Ab diesem Zeitpunkt bezog er eine Wohnung in einer Lagerhalle im westpolnischen G.unweit der Oder bei K.und behielt lediglich für "Meldezwecke" einen Zweitwohnsitz bei seiner Tochter in Berlin-Pankow bei. Dort hielt er sich aber nie auf. Von seiner Wohnung in Polen aus war er im fortgeschrittenen Rentenalter als Bauunternehmer und -berater in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich Berlin-Brandenburg tätig, um weiterhin Nebeneinkünfte zu erzielen. Zu seinen weiteren Lebensumständen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen unter II., die auf den Angaben der Tochter gegenüber dem AG Pankow-Weißensee und dem Senat beruhen, verwiesen. Am 08.2.2016 verstarb der Erblasser im Krankenhaus in B.-S. Am 11.3.2016 schlug die Tochter des Erblassers vor dem für ihren Wohnsitz zuständigen AG Berlin-Pankow die Erbschaft nach ihrem Vater aus und übergab eine Kiste mit Geschäftsunterlagen und den Schlüsseln für die Wohnung in G. Mit Beschluss vom 11.3.2016 hat sich das AG Pankow-Weißensse für unzuständig erklärt und die Sache gem. § 343 Abs. 2 FamFG an das AG Wedding verwiesen. Das AG Wedding hat sich mit Beschluss vom 16.3.2016 für unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits vorgelegt.
II. Der Senat ist zur Entscheidung des zwischen den AGn Pankow-Weißensee und Wedding bestehenden Streits über die örtliche Zuständigkeit berufen (§ 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 FamFG).
Eine "Verweisung" des Verfahrens über die Entgegennahme der Ausschlagung an das AG Wedding entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.
1. Das Nachlassgericht beim AG Pankow-Weißensee ist für die Entgegennahme der Ausschlagungserklärung der Tochter des Erblassers gem. § 31 IntErbRVG i.V.m. Art. 13 EuErbVO zuständig, weil diese als diejenige Person, die die Ausschlagung erklärt, in dessen Amtsbezirk ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Beim Verfahren über die Entgegennahme einer Ausschlagung eines Erbes handelt es sich um eine Nachlasssache, die in die Zuständigkeit der Nachlassgerichte fällt. Es ist eines von mehreren Verfahren, die im Zusammenhang mit dem Anfall eines Nachlasses denkbar sind (vgl. die Aufstellung in § 342 FamFG). Nach Beendigung des Ausschlagungsverfahrens verbleibt die Akte bei diesem Gericht. Das Verfahren über die Entgegennahme einer Ausschlagungserklärung ist jedoch erst mit der Aushändigung der Urschrift der Niederschrift der (Ausschlagungs-)Erklärung (nach der EuErbVO) bzw. der Weiterleitung der Erklärung an das zuständige Nachlassgericht (gem. § 1953 Abs. 3 S. 1 BGB) beendet. Ob dies geschehen ist, lässt sich dem in der Akte befindlichen Protokoll nicht entnehmen.
2. Soweit die erbausschlagende Tochter beim AG Pankow-Weißensee schriftliche Unterlagen und Schlüssel aus dem Besitz des Verstorbenen übergeben hat, könnte eine besondere örtliche Zuständigkeit gem. § 344 Abs. 4 FamFG gegeben sein, wenn in diesem Gerichtsbezirk ein Bedürfnis zur Sicherung des Nachlasses besteht. Ein solches Bedürfnis kann mangels nachvollziehbarer Angaben jedoch im Hinblick auf die Art und Beschaffenheit der übergebenen Gegenständen nicht festgestellt werden.
3. Im Zusammenhang mit den weiteren Angaben der erbausschlagenden Tochter könnte die Durchführung weiterer Nachlassverfahren (Sicherung des Nachlasses, Ermittlung der Erben, Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen etc.) erforderlich sein.
Wegweisend und vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse und Feststellungen zu diesem Nachlassfall weist der Senat auf Folgendes hin:
Das AG Wedding könnte als örtlich zuständiges Nachlassgericht zu bestimmen sein. Seine Zuständigkeit folgt aus § 343 Abs. ...