Leitsatz (amtlich)
- Für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ist die Strafvollstreckungskammer zuständig, wenn gegen den Verurteilten zum Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges schon mit der Entscheidung über den Widerruf befasst war.
(2)
Ein Widerrufsverfahren kann ausnahmsweise vor dem Gesamtstrafenverfahren im Sinne von § 460 StPO betrieben werden, wenn in beiden Verfahrensarten dieselben Tatsachen zur Verfügung stehen. Das Bestehen auf dem Vorrang der Gesamtstrafenbildung erschöpfte sich in einer leeren Förmlichkeit, wenn die mit ihr vorgenommene Neuordnung der Vollstreckungsgrundlagen nach den zugrunde liegenden Umständen kein anderes Ergebnis erbringen könnte, als das Widerrufsverfahren.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 30.06.2005; Aktenzeichen E 12/199 PLs 3016/00 - 538 Qs 88/05) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 30. Juni 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin - 260 Ds 662/01 - verurteilte den Beschwerdeführer am 11. April 2003, rechtskräftig seit dem 23. April 2003, wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Es bemaß die Bewährungszeit auf drei Jahre und erlegte ihm auf, binnen vier Monaten ab Rechtskraft des Urteils 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu leisten. Der Verurteilte erfüllte diese Auflage nicht, kam mehreren Einladungen der Gerichtshilfe (Bericht vom 04. September 2003) in diesem Zusammenhang nicht nach und wurde schließlich am 06. September 2003 wegen der neuen, am selben Tage begangenen Tat in Untersuchungshaft genommen.
In der Bewährungszeit beging der Beschwerdeführer folgende Straftaten:
Am 05. Juli 2003 entwendete er in einem M -Markt unter Verwendung eines Springmessers ein Handy im Wert von 89,00 Euro.
Am 23. Juli 2003 stahl er in einem Supermarkt Fleisch im Gesamtverkaufspreis von 19,08 Euro.
Am 06. September 2003 wollte der Verurteilte, den eine Zeugin als Beteiligten an einer gefährlichen Körperverletzung bezeichnet hatte, sich nach Aufforderung eines Polizeibeamten nicht ausweisen. Als dieser den Beschwerdeführer am Ärmel zu dem Polizeifahrzeug führen wollte, ruderte er heftig mit den Armen, um sich dem Beamten zu entziehen und den Ort zu verlassen. Der Verurteilte war derart alkoholisiert, daß seine Steuerungsfähigkeit möglicherweise aufgehoben war.
Das Landgericht Berlin - (575) 13 Js 3562/03 Ns (90/04) - verurteilte ihn im Berufungsverfahren deshalb am 09. Juni 2004, rechtskräftig seit dem 10. Dezember 2004, wegen Diebstahls mit Waffen, Diebstahls und vorsätzlichen Vollrausches zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr. Unter Anrechnung von 247 Tagen Untersuchungshaft verbüßte der Verurteilte diese Strafe vom 22. März 2005 bis 17. Juli 2005; am 19. August 2005 wurde er nach Verbüßung einer weiteren Freiheitsstrafe entlassen.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin, das dem Verurteilten mit Schreiben vom 14. März 2005 Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft gegeben hatte, widerrief mit Beschluß vom 18. April 2004 die Strafaussetzung. Der Beschluß wurde dem Beschwerdeführer, der sich seit 22. März 2005 in Strafhaft befand, was dem Amtsgericht nicht bekannt gemacht worden war, am 27. April 2005 unter seiner Wohnanschrift zugestellt. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten verwarf das Landgericht mit Beschluß vom 30. Juni 2005. Die dagegen gerichtete (weitere) Beschwerde ist als sofortige (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) des Verurteilten zulässig, hatte aber keinen Erfolg.
1.
Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts zu werten und als solche zulässig.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat dazu ausgeführt:
"Eine weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts ist zwar nach § 310 Abs. 2 StPO unzulässig, da die angefochtene Entscheidung weder einen Haftbefehl noch eine einstweilige Unterbringung i.S.v. § 310 Abs. 1 StPO zum Gegenstand hat.
Das Rechtsmittel des Verurteilten ist im vorliegenden Fall allerdings als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 30. Juni 2005 zu behandeln. Denn es ist davon auszugehen, dass der aufgrund einer Beschwerde ergangene Beschluss des Landgerichts entsprechend der wahren Rechtslage als erstinstanzliche Entscheidung zu werten ist, wenn für diese tatsächlich nicht das Amtsgericht, sondern das Landgericht zuständig gewesen wäre (vgl. hierzu Beschluss des KG vom 8. Februar 2005 - 5 Ws 39/05 -). In einem solchen Fall ist die (sofortige) Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts zulässig, weil die sonst vom Gesetz gewollte Entscheidung des dem Landgericht übergeordneten Gericht im Beschwerdeverfahren nicht erreichbar wäre (vgl. KG a.a.O. m.w.N.). Ein solcher Fall...