Entscheidungsstichwort (Thema)
Räumungsvollstreckung gegen Ehegatten und Lebensgefährten
Leitsatz (amtlich)
1. Ein gegen den Mieter einer Wohnung erwirkter Räumungstitel rechtfertigt grundsätzlich nicht die Zwangsräumung gegen Personen, die als Mitbesitzer der Wohnung oder von Teilen davon anzusehen sind.
2. Als Mitbesitzer einer Wohnung sind neben Ehegatten regelmäßig auch sonstige Personen anzusehen, die ohne eigenen Mietvertrag mit dem Mieter in einer auf gewisse Dauer angelegten Gemeinschaft in der Wohnung leben.
3. Offen bleibt, ob sich etwa auch derjenige Besitzer gegenüber der Räumungsvollstreckung auf seine Rechtsposition berufen kann, der ohne oder gegen den Willen des Vermieters seinen Mitbesitz begründet und wider Treu und Glauben über einen erheblichen Zeitraum gegenüber dem Vermieter verheimlicht hat.
Normenkette
ZPO § 885
Verfahrensgang
Tenor
In Änderung des angefochtenen Beschlusses wird die sofortige Beschwerde der Gläubiger gegen den Beschluß des Amtsgerichts Wedding vom 1. Juni 1993 zurückgewiesen.
Die Gläubiger haben die Kosten aller drei Rechtszüge nach einem Wert von 10.000,00 bis 11.000,00 DM zu tragen.
Gründe
Die Gläubiger betreiben aus einem gegen den Schuldner als Mieter der betreffenden Wohnung erwirkten Räumungsurteil die Räumungsvollstreckung gegen die Beteiligte und deren in den Jahren 1973 und 1977 geborene, Töchter. Die Beteiligte hatte die Wohnung Anfang 1977 gemeinsam mit dem Schuldner bezogen und wohnt seither mit ihren Töchtern ebenfalls in der Wohnung. Dem war folgender Sachverhalt vorausgegangen: Der Schuldner gab die Beteiligte gegenüber dem Rechtsvorgänger der Gläubiger als dem damaligen Vermieter zunächst wahrheitswidrig als seine Ehefrau aus. Daraufhin wurde die Beteiligte im Entwurf des formularmäßigen Mietvertrages unter dem Familiennamen des Schuldners ebenfalls als Mieterin aufgeführt. Der damalige Vermieter erfuhr sodann, daß der Schuldner mit der Beteiligten nicht verheiratet war. Der entworfene Mietvertrag vom 22. Dezember 1976 wurde daraufhin nur vom Mieter und vom Schuldner unterzeichnet.
Nach Einleitung der Räumungsvollstreckung bat die Beteiligte den mit der Räumung der Wohnung beauftragten Gerichtsvollzieher erfolglos zu bestätigen, daß die Vollstreckung nicht gegen sie und ihre Töchter betrieben werde. Sie hat sodann mit dem Antrag Vollstreckungserinnerung eingelegt, den Gerichtsvollzieher anzuweisen, die Vollstreckung in diesem Sinne nicht durchzuführen. Das Amtsgericht hat der Erinnerung stattgegeben, während das Landgericht diese Entscheidung auf die von den Gläubigern eingelegte sofortige Beschwerde geändert und die Erinnerung zurückgewiesen hat. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten, die sich nach wie vor auf ihren Mitbesitz an der Wohnung sowie darauf beruft, sie sei nach den damaligen Umständen selbst Mieterin der Wohnung geworden. Ein gegen sie gerichteter Räumungstitel sei im übrigen jedenfalls deshalb erforderlich, weil sie mit dem Schuldner seinerzeit vorsorgliche einen schriftlichen Untermietvertrag vom 5. Januar 1977 geschlossen habe; ferner sei der Schuldner inzwischen aus der Wohnung ausgezogen.
Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß §§ 793 Abs. 2, 538 Abs. 2 ZPO zulässig, insbesondere enthält die von derjenigen des Amtsgerichts abweichende Entscheidung des Landgerichts einen neuen selbständigen Beschwerdegrund (§ 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Das Rechtsmittel ist auch begründet, weil die Gläubiger nicht berechtigt sind, aus dem gegen den Schuldner als Mieter der Wohnung erwirkten Räumungstitel die Zwangsvollstreckung auch gegen die Beteiligte und deren Töchter zu betreiben. Dabei ist unter den Umständen des vorliegenden Falles allein entscheidend, daß jedenfalls auch die Beteiligte Besitz an der Wohnung hat, wahrend es auf die von ihr sonst geltend gemachten rechtlichen Gesichtspunkte nicht ankommt, deren tatsächliche Voraussetzungen die Gläubiger im wesentlichen bestritten haben. Die Beteiligte kann, da Fragen des Drittbesitzes das vom Gerichtsvollzieher zu beachtende Verfahren betreffen, die Verletzung ihres Besitzes durch die auch gegen sie beabsichtigte Räumungsvollstreckung unabhängig davon, ob insoweit auch die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO oder eine Feststellungsklage gegeben wäre (vgl. dazu BVerfG NJW-RR 1991, 1101), jedenfalls auch im Verfahren nach § 766 ZPO geltend machen (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 885 Rdn. 27; Zöller/Stöber, ZPO, 18. Aufl., § 885 Rdn. 16).
In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob der Vermieter aus einem lediglich gegen den Mieter gerichteten Räumungstitel die Räumungsvollstreckung (§ 885 ZPO) auch gegen andere Personen betreiben kann, welche die Mieträume bewohnen, ohne selbst Mieter zu sein, sofern sie nicht lediglich Besitzdiener sind oder sonst keinen eigenen Besitz an der Wohnung oder an Teilen davon haben. Die herr...