Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 30.09.2011; Aktenzeichen 502 Qs 115/11) |
LG Berlin (Entscheidung vom 30.09.2011; Aktenzeichen 502 Qs 114/11) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 09.09.2011; Aktenzeichen (352 Gs) 231 Js 2274/11 (3272/11)) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Beschuldigten werden der Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 9. September 2011 - (352 Gs) 231 Js 2274/11 (3272/11) - und der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 30. September 2011 - 502 Qs 114, 115/11 - aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft den beiden Beschuldigten vor, seit dem 17. Juni 2011 gemeinschaftlich eine staatsgefährdende Straftat des Mordes (§ 211 StGB) vorbereitet zu haben, "indem sie sich Stoffe zur Herstellung von Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen verschafft, verwahrt und einem anderen überlassen" hätten (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB). Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat am 9. September 2011 gegen die Beschuldigten nach deren vorläufiger Festnahme am Vortag einen entsprechenden, auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl erlassen, auf dessen Grundlage seitdem die Untersuchungshaft vollzogen wird.
Den zu den Anhängern des Salafismus gezählten Beschuldigten wird zur Last gelegt, sie verfügten über eine "dschihadistische Grundeinstellung", auf deren Grundlage sie den Entschluss gefasst hätten, "durch einen Sprengstoff- oder Brandanschlag eine größtmögliche Anzahl von Menschen zu töten". In Umsetzung dieses Entschlusses hätten sie sich spätestens seit Mitte des Jahres 2011 um die Beschaffung zur Herstellung von Sprengstoffen oder Spreng- und Brandvorrichtungen geeigneter Substanzen bemüht (Hervorhebung durch den Senat). Der Beschuldigte N habe in Verfolgung des gemeinsamen Zieles jeweils über das Internetportal "eBay" am 17. Juni 2011 (richtig: am 9. Juni 2011) zwölf Kilogramm einer 37%igen Schwefelsäure (Batteriesäure) für 19,90 Euro zuzüglich Versandkosten sowie am 22. Juni 2011 (richtig: am 21. Juni 2011) 100 Trockeneis-Kühlkompressen zum Preis von 49 Euro zuzüglich Versandkosten bestellt. Letztere hätten als Hauptbestandteile entweder Ammoniumnitrat oder Harnsäure aufgewiesen, welche jeweils in Verbindung mit weiteren Komponenten zur Herstellung von Sprengstoff geeignet seien. Während die Schwefelsäure infolge eines Versehens des Verkäufers an einen Dritten gelangte, seien die Kompressen am 22. Juni 2011 per Nachnahme an die Wohnanschrift des Beschuldigten N geliefert und dort bar bezahlt worden. Die Kältekompressen seien "bislang unbekannten Dritten überlassen" worden, wobei nicht ausgeführt worden ist, wann und durch wen dies geschehen sei. Ferner hätten sich die Beschuldigten in der Folgezeit ebenfalls mit dem Ziel der Herstellung von Sprengstoffen jeweils einen Liter 25%iger Salzsäure und Brennspiritus sowie zwei Liter Aceton beschafft, die der Beschuldigte N - ebenso wie eine nicht aus der o.g. Lieferung stammende Kühlkompresse - in seiner Wohnung bis zu deren Durchsuchung am 8. September 2011 aufbewahrt habe. Auch der Beschuldigte M habe in Verfolgung des gemeinsamen Tatplans über das Internet "zur Herstellung entsprechender Sprengstoffe oder -vorrichtungen benötigte Gegenstände" beschafft, die er jedenfalls teilweise am 11. August 2011 in die Wohnung des Mitbeschuldigten verbracht habe.
Umfangreiche Telekommunikationsüberwachungs- und Observationsmaßnahmen in den Monaten Juli und August 2011 haben ergeben, dass beide Beschuldigte engen Kontakt zueinander pflegen und mit Personen verkehren, die nach Ansicht der Ermittlungsbehörden ebenfalls radikal-islamistische Ansichten vertreten. Dazu zählen die jeweils wegen Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilten K und T (der zudem wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine solche Vereinigung - noch nicht rechtskräftig - schuldig gesprochen wurde).
Die nach § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässigen weiteren Beschwerden der Beschuldigten haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Haftbefehls und des die Haftbeschwerden verwerfenden Beschlusses des Landgerichts Berlin.
A. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen fehlt es an dringendem Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) gegen die Beschwerdeführer. Ein solcher liegt vor, wenn nach dem Ermittlungsergebnis eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 112 Rdn. 5). Dies ist nicht der Fall. Es bestehen zwar Verdachtsgründe, diese belegen aber keinen dringenden Tatverdacht für eine als Grundlage für einen Haftbefehl allein in Betracht kommende Straftat nach § 89a StGB.
I. Beschuldigter M
Soweit es den Beschuldigten M angeht, fehlt es bereits an Anhaltspunkten dafür, dass er sich im Sinne der Vorwürfe an dem Geschehen beteiligt hat. Der Haftbefehl hat für den von beiden Beschuldigten vermeintlich gemeinsam gefassten Entschluss, ein Töt...