Leitsatz (amtlich)
1. Auch unter dem Regime der Bußgeldkatalog-Verordnung (nachfolgend: BKatV) bleiben die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG die Grundlage für die Bußgeldbemessung.
2. Systematisch stellen diese Regelsätze Zumessungsrichtlinien dar, die der Tatrichter bei der Ausübung seines Rechtsfolgeermessens nicht unbeachtet lassen darf.
3. Lassen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des erlaubt abwesenden Betroffenen nicht feststellen, zwingt die Aufklärungspflicht das Tatgericht nicht zu weiteren Ermittlungen, wenn es beabsichtigt, eine Geldbuße von mehr als 250 Euro zu verhängen. Denn die persönlichen und wirtschaftlichen Umstände sind aufgrund der Regel-Ausnahme-Systematik der BKatV nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärung. Es obliegt vielmehr dem Betroffenen, konkrete Tatsachen vorzutragen, die ein Abweichen vom Regelsatz nahelegen, um so die tatrichterliche Aufklärungspflicht auszulösen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 21.11.2019; Aktenzeichen 315 OWi 1443/18) |
Tenor
Die Sache wird nach § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. November 2019 wird gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet verworfen, dass der Betroffene der vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig ist.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Die Liste der angewendeten Vorschriften wird wie folgt neu gefasst:
§§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 1 Abs. 1 und Abs. 2, 3 Abs. 4a und Abs. 5, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV mit Anhang zu Nr. 11 der Anlage Tabelle 1 lit c), lfd. Nr. 11.3.9 und 11.3.10 BKatV, 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2a StVG, 17 Abs. 3 Satz 1, 19 Abs. 1 und 2 OWiG.
Gründe
I.
Der Polizeipräsident in B hat mit Bußgeldbescheid vom 26. September 2019 gegen den Betroffenen wegen zwei vorsätzlich in Tateinheit begangener Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 77 km/h und 62 km/h unter bußgelderhöhender Berücksichtigung von Voreintragungen im Fahreignungsregister eine Geldbuße in Höhe von 2000,00 € sowie ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen, der von seiner Erscheinungspflicht zur Hauptverhandlung entbunden und dort auch nicht von seinem schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden war, am 21. November 2019 im Abwesenheitsverfahren gemäß § 74 Abs. 1 OWiG wegen einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 1500,00 € verurteilt, ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen und eine Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 11. August 2018 in B die Bundesautobahn xxx in Richtung Süd und nahm hinter der F.-Z.-B durch das Zeichen 274 wahr, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit von vorher 80 km/h auf 60 km/h herabgesetzt ist. Gleichwohl befuhr er diesen Bereich mit einer Geschwindigkeit von 137 km/h. Im weiteren Streckenverlauf erkannte der Betroffene durch das Zeichen 274, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit ab der Anschlussstelle Stubenrauchstraße wieder 80 km/h beträgt. Dennoch fuhr er in diesem Abschnitt der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 142 km/h.
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 20. Februar 2020 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Der Einzelrichter Richter am Landgericht Thoms überträgt die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern, da es geboten ist, das amtsgerichtliche Urteil im Hinblick auf die Darlegungserfordernisse der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen (vgl. § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG). Der Senat hält an seiner früheren Rechtsprechung, dass es im Falle der Festsetzung einer Geldbuße von über 250 Euro unter dem Regime der Bußgeldkatalog-Verordnung grundsätzlich der Aufklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bedarf und die fehlende Feststellung dieser Umstände zur Aufhebung des Urteils führt (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Februar 2012 - 3 Ws (B) 52/12 -, juris) oder führen kann (Senat, Beschluss vom 12. März 2019 - 3 Ws (B) 53/19 -, juris), nicht mehr fest.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils z...