Entscheidungsstichwort (Thema)

Entbindung von Schöffen aufgrund Urlaubs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Eingreifen des Rechtsmittelgerichts ist im Fall der Befreiung eines Schöffen von der Dienstleistung angesichts der Unanfechtbarkeit einer solchen Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 336 Abs. 1 Satz 2 StPO (weiterhin) nur dann möglich, wenn der Beschwerdeführer durch die von ihm beanstandete Entscheidung seinem gesetzlichen Richter entzogen wird. Dies ist nicht bereits bei einer fehlerhaften, sondern erst bei einer objektiv willkürlichen Entscheidung der Fall.

2. Willkür in diesem Sinne liegt nicht nur bei einer bewussten Fehlentscheidung, sondern schon dann vor, wenn die mit der Entbindung des Schöffen verbundene Festlegung des gesetzlichen Richters bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken, im Fall des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Verhinderung einer manipulativen Richterauswahl, grob fehlerhaft und offensichtlich unhaltbar ist. Dabei ist an die Willkürprüfung angesichts der rechtsstaatlichen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ein strenger Maßstab anzulegen.

3. Bei der antragsgemäßen Entbindung aufgrund eines von dem Schöffen angezeigten Erholungsurlaubs liegt Willkür in aller Regel fern.

4. Eine gezielte, die Mitwirkung des an sich verhinderten Hauptschöffen erst ermöglichende Änderung der Terminierung kann mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Bedenken erwecken können. Wird dagegen ohne Rücksicht auf eine mögliche Verhinderung der Schöffen terminiert und führt dies dazu, dass ein Hilfsschöffe eintreten muss, kann sich aus dieser Vorgehensweise - anders als im umgekehrten Fall - von vornherein kein Verdacht einer Manipulation ergeben.

 

Normenkette

GVG § 54 Abs. 1; StPO § 222b Abs. 3; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen (507 KLs) 284 Js 1625/19 (37/19))

 

Tenor

Der Besetzungseinwand wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Die Vorsitzende der 7. Jugendkammer des Landgerichts Berlin hat in vorliegender Sache für den 24. und 28. April 2020 sowie für den 5., 12. und 15. Mai 2020 Hauptverhandlungstermine anberaumt. Als Gerichtsbesetzung für den Verhandlungsbeginn am 24. April 2020 war planmäßig unter anderem die Hauptschöffin D vorgesehen. Diese teilte bereits vorab am 28. Februar 2020, und nochmals nach ihrer am 19. März 2020 gleichwohl erfolgten Ladung mit, dass sie am 15. Mai 2020 urlaubsbedingt verhindert sei und insoweit um ihre Freistellung von der Schöffenpflicht ersuche. Auf die Bitte der Kammervorsitzenden um Übersendung einer Buchungsbestätigung beziehungsweise nähere Angaben zum Urlaubsort übermittelte die Schöffin dem Gericht bereits am 16. Februar 2020 gebuchte Tickets für eine Bahnreise von B. nach H., wobei die Hinreise am 15. Mai 2020 um 12.38 Uhr und die Rückreise am 17. Mai 2020 stattfinden sollte. Die Kammervorsitzende hat die Schöffin daraufhin mit der von ihr aktenkundig gemachten Erwägung von der Dienstleistung entbunden, dass die Reise schon vor Erhalt der Ladung gebucht worden sei.

Mit am 9. April 2020 dem Verteidiger zugestellter Mitteilung gemäß § 222a StPO hat die Jugendkammer angekündigt, dass sie unter anderem mit der - an die Stelle der entbundenen Hauptschöffin D getretenen - Hilfsschöffin S verhandeln werde. Hiergegen wendet sich der am 15. April 2020 beim Landgericht Berlin eingegangene Besetzungseinwand des Angeklagten.

Dieser beanstandet, dass die Vorsitzende entgegen § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG auf eine Dokumentation ihrer Ermessensentscheidung verzichtet habe und ihre Entscheidung deshalb nicht nachvollziehbar sei. Es erscheine bereits zweifelhaft, ob die Befreiung der Schöffin von der Dienstpflicht auf einer zureichenden Tatsachengrundlage erfolgt sei. So erschließe sich namentlich nicht, ob die Vorsitzende, wie von Gesetzes wegen geboten, geprüft habe, ob die Schöffin die Reise hätte verschieben oder ihrer Verhinderung durch eine Umterminierung hätte Rechnung getragen werden können.

Die Kammer hat den Besetzungseinwand mit Beschluss vom 20. April 2020 für nicht begründet erklärt und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Im Rahmen der den Verfahrensbeteiligten hierzu eingeräumten Möglichkeit der Stellungnahme hat die Verteidigung in einer unter dem 20. April 2020 eingelegten "Beschwerde" ergänzend vorgetragen, dass eine Verhinderung der Schöffin bereits deshalb nicht vorgelegen habe, weil der Termin am 15. Mai 2020 nach Aktenlage "offenbar" nur der Beratung und Urteilsverkündung dienen solle, was problemlos zwischen 9.30 Uhr und 11.00 Uhr, mithin vor der geplanten Abreise der Schöffin, möglich sein werde; im Fall einer unvorhergesehenen Verzögerung hätte die Schöffin zudem auf eine spätere Zugverbindung ausweichen können. Im Übrigen lasse allein die vorherige Buchung des "Kurztripps" nach H dessen Verschiebung noch nicht als unzumutbar erscheinen, zumal die Reise aufgrund ihrer Kürze ersichtlich nicht Erholungszwecken habe dienen können.

II.

Der Besetzungseinwand ist zuläs...

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