Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 10.08.2005; Aktenzeichen (509) 4 Op Js 1500/04 Ls Ns (39/05))

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 10. August 2005 wird verworfen.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen.

 

Gründe

Das Jugendschöffengericht Tiergarten hat gegen den zu den Tatzeitpunkten jugendlichen Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen das Zuchtmittel des Jugendarrests verhängt und ihm eine Weisung erteilt. Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Seine Ladung zu dem Termin zur neuerlichen Hauptverhandlung ist im Wege der öffentlichen Zustellung erfolgt. Das Landgericht hat durch Urteil vom 7. Juli 2005 die Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte nicht erschienen war. Mit dem angefochtenen Beschluss hat es den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung als unbegründet verworfen. Die dagegen form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde (§§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3, 311 Abs. 1 und 2 StPO) hat keinen Erfolg.

1.

Die Vorschriften über die Wiedereinsetzung finden vorliegend Anwendung.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn der Betroffene vorbringt und glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§§ 44, 45 StPO) oder - wie hier - zur Berufungshauptverhandlung zu erscheinen (§ 329 Abs. 3 i.V. mit §§ 44, 45 StPO). Der Beschwerdeführer macht dies allerdings nicht geltend. Mit seinem Vorbringen, er sei zur Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden, weil die nach § 40 Abs. 3 StPO erfolgte öffentliche Zustellung der Ladung nach dem Grundgedanken des § 48 JGG unwirksam gewesen sei, bestreitet er vielmehr, überhaupt die neuerliche Hauptverhandlung versäumt zu haben.

Der in der Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen Auffassung, über den Wortlaut der §§ 44, 45 StPO hinaus könne auch demjenigen Wiedereinsetzung gewährt werden, der keine Frist versäumt hat, aber zu Unrecht so behandelt worden ist (vgl. BGHR StPO § 45 Abs. 1 Satz 1 - Wegfall 2 -; Hanseatisches OLG StV 2001, 339 f; Mau in Karlsruher Kommentar, StPO 5. Aufl., § 44 Rdnr. 6; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 44 Rdnr. 2; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 44 Rdnr. 34; jeweils m.w.Nachw.), hat sich das Kammergericht in ständiger Rechtsprechung bislang nicht angeschlossen (vgl. Beschlüsse vom 19. Mai 2005 - 5 Ws 205/05 - und 22. Dezember 2003 - 3 Ws 327/03 -; jeweils m.w.Nachw.). Der Senat folgt ihr im Grundsatz auch weiterhin nicht. Die Fehlerhaftigkeit der Ladung kann daher nur mit der Revision beanstandet werden (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. etwa Senat, Beschluss vom 23. April 2001 - 4 Ws 65/01 -; KG, Beschluss vom 19. Mai 2005 aaO; jeweils m.w.Nachw.). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der irrtümlich als säumig behandelte Betroffene die Möglichkeit hat, die Fehlerhaftigkeit der Rechtsanwendung auf andere Weise als durch einen Wiedereinsetzungsantrag zu beanstanden. Das ist bei einem Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO der Fall, das ein nach allgemeinem Strafrecht verurteilter Angeklagter mit der Revision angreifen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 23. April 2001 aaO; KG, Beschluss vom 19. Mai 2005 aaO; jeweils m.w.Nachw.). Lässt sich Rechtsschutz jedoch auf andere Weise nicht (mehr) erlangen, kommt die Anerkennung eines Zustellungsmangels als Wiedereinsetzungsgrund in Betracht (vgl. KG wistra 2002, 37 und Beschluss vom 19. Mai 2005 aaO, jeweils m.w.Nachw.). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn - wie hier - ein zur Tatzeit im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG jugendlicher Angeklagter oder ein unter Anwendung des Jugendstrafrechts verurteilter Heranwachsender (§§ 1 Abs. 2, 105 Abs. 1 JGG) gegen ein Urteil des Jugendrichters oder Jugendschöffengerichts eine zulässige Berufung eingelegt hatte (vgl. KG, Beschluss vom 27. Februar 2002 - 5 Ws 116/02 -). Denn er kann gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 JGG gegen das Berufungsurteil nicht mehr Revision einlegen.

2.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Er ist am 22. Juli 2005 und damit innerhalb der Wochenfrist des § 329 Abs. 3 StPO, die hier mit der nach § 145 a Abs. 1 StPO wirksamen Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an den Pflichtverteidiger am 19. Juli 2005 zu laufen begonnen hatte, bei dem zuständigen Gericht eingegangen. Auf den - im Wiedereinsetzungsantrag nicht mitgeteilten - Zeitpunkt der Kenntnis des Angeklagten von dem Verwerfungsurteil kommt es deshalb nicht an. Einer Glaubhaftmachung der zur Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsache der öffentlichen Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung bedurfte es nicht. Denn im Fall der - vorliegend gegebenen - Aktenkundigkeit der behaupteten Tatsache ist deren Glaubhaftmachung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO entbehrlich (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 45 Rdnr. 6 m.w.Nachw.).

3.

Das Landgericht hat den ...

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