Leitsatz (amtlich)
Hat der Angeklagte nach der Tatbegehung eine Freiheitsstrafe verbüßt, so muss sich das Tatgericht bei der Begründung der Bewährungsentscheidung jedenfalls dann mit der Frage auseinandersetzen, ob die Vollstreckung eine Wirkung erzielt hat, wenn es sich um einen Erstverbüßer handelt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 29.11.2018; Aktenzeichen (579) 271 AR 141/18 Ns (26/18)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. November 2018 mit den Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, soweit die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht die Freiheitsstrafe auf fünf Monate herabgesetzt, die begehrte Strafaussetzung zur Bewährung aber versagt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Zutreffend beanstandet die Revision mit der Sachrüge, dass sich das Landgericht bei der Begründung der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt hat, dass der Angeklagte erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt, die er zudem erst nach der abgeurteilten Tat angetreten hat. Bereits die Generalstaatsanwaltschaft hat zu diesem Erörterungsmangel wie folgt ausgeführt:
"Hingegen kann die Entscheidung über die Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung keinen Bestand haben.
Das Urteil des Landgerichts lässt eine Auseinandersetzung darüber vermissen, ob und wie die erstmalige Verbüßung der Freiheitsstrafe auf den Angeklagten konkret eingewirkt hat und was daraus für den Angeklagten legalprognostisch zu folgern ist.
Der von der Strafhaft ausgehende Warneffekt lässt bei einem Erstverbüßer allgemein erwarten, dass das der bloßen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nicht vergleichbare Erlebnis von deren Vollstreckung seine Wirkung nicht verfehlt und den Täter befähigt, künftigen Tatanreizen zu widerstehen (vgl. KG, Urteil vom 24. Juni 2010- (4) 1 Ss 214/10 (115/10)-; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21.02.2011 - (1) 53 Ss 229/10 (2/11), juris Rz. 7).
Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte trotz der Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von 1 Jahr 1 Monat und 1 Jahr 4 Monaten die hier abzuurteilende Straftat begangen hat und seit dem 20. Dezember 2017, mithin zum Zeitpunkt des Urteils seit über 11 Monaten, diese Strafen verbüßt. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht sich aber erkennbar mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der von der Vollstreckung ausgehende Warneffekt eine Wirkung auf den Angeklagten erzielt hat und deshalb von einer Strafaussetzung zur Bewährung erwartet werden könnte, dass der Angeklagte die Chance nutzt und künftig keine Straftaten mehr begeht. Die Kammer hat ihre negative Sozialprognose neben der Tatsache, dass die Vorverurteilungen nicht zu einer Verhaltensänderung des Angeklagten geführt haben, lediglich auf seine sehr unsicheren Zukunftsaussichten und fehlende familiäre Bindungen gestützt. Deshalb ist zu besorgen (vgl. KG, Beschluss vom 16. Juli 2018 - (4) 121 Ss 104/18 (116/18) -), dass das Landgericht den bei einem Erstverbüßer zu erwartenden Warneffekt zum Nachteil des Angeklagten nicht hinreichend in den Blick genommen hat (vgl. KG, Beschlüsse vom 23. Juni 2015 - (5) 121 Ss 52/15 (23/15) -, 30. November 2009 - (4) 1 Ss 473/09 (254/09) - und 24. Februar 2009 - (3) 1 Ss 451/08 (11/09) -; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 200)."
Dieser Bewertung der Generalstaatsanwaltschaft folgt der Senat.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3. Der Senat hebt das angefochtene Urteil in Bezug auf die Versagung der Bewährung auf und verweist die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.
Fundstellen
JZ 2019, 758 |
BerlAnwBl 2019, 264 |