Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenzvorlage zur Reichweite einer Entbindungsentscheidung
Normenkette
GVG § 121; StPO § 232; OWiG §§ 73-74, 80a
Tenor
Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die Sache wird entsprechend § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Beantwortung folgender Frage vorgelegt:
Führt die Verlegung eines Hauptverhandlungstermins dazu, dass die vorangegangene Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens "verbraucht" ist, so dass sie für den neuen Termin gegebenenfalls neu beantragt und angeordnet werden muss?
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes eine Geldbuße sowie ein Fahrverbot festgesetzt. Der Betroffene hat hiergegen Einspruch eingelegt. Nach ausgesetzter Hauptverhandlung hat das Amtsgericht am 31. August 2021 zur erneuten Hauptverhandlung am 11. Oktober 2021 geladen. Einem durch den Verteidiger angebrachten Entbindungsantrag hat das Amtsgericht entsprochen. Hiernach hat die Abteilungsrichterin mit Verfügung vom 7. Oktober 2021 den Termin auf den 3. November 2021 verlegt. Der Betroffene und sein Verteidiger sind hiervon durch ein mit "Terminverlegung" überschriebenes Schreiben des Amtsgerichts unterrichtet worden. Zum Hauptverhandlungstermin sind, wie durch den Verteidiger angekündigt, weder dieser noch der Betroffene erschienen. Das Amtsgericht hat das Fernbleiben des Betroffenen am Terminstag als unentschuldigt bewertet und seinen Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
Der Einzelrichter (§ 80a Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 OWiG) Richter am Kammergericht S. überträgt die Sache zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).
Der in dieser Weise besetzte Senat möchte die Rechtsbeschwerde verwerfen, weil er die Rechtsauffassung vertritt, dass die Entbindungsanordnung durch die Terminverlegung obsolet geworden ist, so dass der Betroffene dem Termin am 3. November 2021 im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG unentschuldigt ferngeblieben ist und das Amtsgericht den Einspruch verwerfen durfte.
Dem steht die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg entgegen. Das OLG hat tragend entschieden, dass die Entscheidung über die Entbindung von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens bei einer bloßen Verlegung des Hauptverhandlungstermins fortwirkt (OLG Bamberg DAR 2016, 391 = StraFo 2016, 212). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hätte der Betroffene bei der Hauptverhandlung am 3. November 2021 nicht unentschuldigt gefehlt, so dass die Verwerfung verfahrensfehlerhaft gewesen wäre.
Die Einschätzung des Senats, die Rechtsbeschwerde sei zu verwerfen, gründet auf folgenden Umständen:
1. Die Verfahrensrüge enthält alle zur Beurteilung des Falls notwendigen Umstände (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) und ist damit zulässig erhoben.
2. Die Rüge, das Amtsgericht habe gegen die Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG und gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, ist nach der Rechtsauffassung des Senats jedoch unbegründet. Die vom Amtsgericht ausgesprochene Entbindung von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens (fortan: Entbindung) betraf nur den Termin am 7. Oktober 2021. Sie erstreckte sich nach der Verlegung auf den 3. November 2021 nicht auch auf diesen neuen Termintag.
Im Zusammenhang mit der Frage der Dauer und Reichweite einer Entbindungsanordnung gibt es verschiedene Konstellationen, die unterschiedlich beurteilt werden.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass eine Entbindungsentscheidung nicht über das erstinstanzliche Urteil fortwirkt: Nachdem das angefochtene Urteil durch das Rechtsbeschwerdegericht aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen worden ist, muss der Entbindungsantrag erneut gestellt werden (vgl. OLG Bamberg NStZ-RR 2017, 26; zustimmend BeckOK OWiG/Hettenbach, 32. Ed., § 73 Rn. 8b).
Gleichfalls einheitlich beurteilt wird der Fall, dass eine Hauptverhandlung unterbrochen wird und fortgesetzt werden muss. Hier wirkt die Entbindung fort und erstreckt sich auch auf den Fortsetzungstermin oder die Fortsetzungstermine (vgl. Senat NZV 2013, 99 [Volltext bei juris]; DAR 2017, 714; OLG Hamm DAR 2006, 218). Denn bei einem Fortsetzungstermin handelt es sich nur um einen unselbstständigen zeitlichen Abschnitt einer mehrtägigen Hauptverhandlung (vgl. Senat NZV 2013, 99).
Umstritten ist hingegen, ob die Aussetzung einer Hauptverhandlung eine Zäsur bildet, die Entbindungsentscheidung entfallen lässt und einen neuen Antrag erforderlich macht. Dass der Betroffene in diesem Fall eine erneute Entscheidung des Amtsgerichts herbeiführen muss, wurde unter anderem vom erkennenden Senat (NZV 2013, 99), vom OLG Hamm (DAR 2006, 522), vom OLG Brandenburg (VRS 116, 276) und vom OLG Bamberg (NStZ-RR 2017, 26 [obiter dictum]) vertreten (ebenso Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. ...