Leitsatz (amtlich)
1. Gegen die Versagung der Akteneinsicht durch das LG im Beschwerdeverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 19 Abs. 1 FGG die Erstbeschwerde gegeben (Aufgabe von KG Rpfleger 1960, 375). Bei der Entscheidung über das Rechtsmittel sind neue Tatsachen zu berücksichtigen.
2. In einem Betreuungsverfahren darf dem Betroffenen die Einsicht in das eingeholte ärztliche Gutachten nur verwehrt werden, wenn hiervon nach Einschätzung des Arztes erhebliche Nachteile für die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind (§ 68 Abs. 2 Nr. 1 FGG).
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 14.02.2006; Aktenzeichen 83 T 283/05) |
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 50-XVII H 1813) |
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusstenors zu 2. des Beschlusses des LG Berlin vom 14.2.2006 wird dem Betroffenen Akteneinsicht gewährt.
Gründe
A. Im Rahmen der Beschwerde des Betroffenen vom 1.6.2005 gegen die Bestellung eines Betreuers hat das LG Berlin dem Betroffenen mit Verfügung vom 18.7.2005 persönlich Einsicht in die Gerichtsakte gewährt, aber die ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 29.9.2004 und vom 23.2.2005 sowie im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens das ärztliche Zeugnis des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 26.8.2005 hiervon ausgenommen. Statt dessen hat das LG dem Betroffenen mit Beschluss vom 22.9.2005 eine Verfahrenspflegerin bestellt. Der gegen die Versagung der Akteneinsicht gerichteten Beschwerde des Betroffenen vom 4.8.2005 hat das LG mit Beschluss vom 14.2.2006 nicht abgeholfen und die Akte dem KG zur Entscheidung vorgelegt.
B.I. Nachdem das LG der Beschwerde des Betroffenen gegen die teilweise Versagung von Akteneinsicht mit Beschluss vom 14.2.2006 nicht abgeholfen hat, ist der Senat zur Entscheidung über die eingelegte Beschwerde vom 4.8.2005 berufen. Es ist in der jüngeren Rechtsprechung und in der Literatur anerkannt, dass gegen die Versagung der Akteneinsicht durch das Beschwerdegericht in entsprechender Anwendung von § 19 Abs. 1 FGG die Erstbeschwerde gegeben ist (KG FGPrax 2006, 18; BayObLG FamRZ 2001, 1246; OLG Düsseldorf v. 25.3.1996 - 25 Wx 58/95, 25 Wx 64/95, FamRZ 1997, 1361; Keidel/Kahl, FGG, 15. Aufl., § 19 Rz. 25; Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl., § 19 Rz. 18). Dieser Auffassung hat sich der Senat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung angeschlossen (KG FGPrax 2006, 18; anders noch KG Rpfleger 1960, 375; m. kritischer Anm. von Keidel, Rpfleger 1960, 358 ff.). Zwar sind nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 FGG, wonach das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Verfügungen des Gerichts erster Instanz stattfindet, die Verfügungen nicht beschwerdefähig, die das LG im Lauf eines Beschwerdeverfahrens trifft. Solche Verfügungen sind keine Verfügungen des Gerichts erster Instanz. Doch ist die Versagung der Akteneinsicht im Hinblick auf das jedem Verfahrensbeteiligten zustehende rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) von einschneidender Bedeutung. Eine Entscheidung unter Verstoß gegen diesen Grundsatz stellt einen Verfahrensfehler dar, der im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht heilbar ist, sondern zur Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts führen muss. Gründe der Verfahrensökonomie, die gegen die selbständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen des Beschwerdegerichts angeführt werden (Jansen, FGG, 2. Aufl., § 19 Rz. 4), sprechen hier gerade dafür, gegen eine solche Entscheidung des LG, die im Falle ihrer Fehlerhaftigkeit zur Aufhebung des Verfahrens (vgl. § 562 Abs. 2 ZPO) und Zurückverweisung an das LG führt, die Beschwerde zuzulassen (vgl. Keidel, Rpfleger 1960, 358 ff. [360]).
Die Zulassung der Nachprüfung einer die Akteneinsicht betreffenden Zwischenentscheidung des Beschwerdegerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht - im Rahmen der Erstbeschwerde, §§ 19, 23 FGG -, widerspricht im Übrigen auch nicht grundsätzlich der Aufgabe, die dem Gericht des dritten Rechtszuges zugewiesen ist (so aber Jansen, FGG, 2. Aufl., § 19 Rz. 48). Endentscheidungen des Beschwerdegerichts dürfen vom Gericht der weiteren Beschwerde nach § 27 FGG zwar nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Doch kann ein Gesuch auf Akteneinsicht nach § 34 FGG in jedem Stadium des Verfahrens gestellt werden. Das Rechtsbeschwerdegericht ist zur Entscheidung über ein solches Gesuch auch dann ohne jede Einschränkung seiner Prüfungsbefugnis berufen, wenn sich die Akten im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens bei ihm befinden.
II. Die Beschwerde ist auch begründet. Es besteht kein Grund mehr, dem Betroffenen die persönliche Einsicht in die gutachtlichen Stellungnahmen des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 29.9.2004, 23.2.2005 sowie in das ärztliche Zeugnis vom 26.8.2005 nach § 34 Abs. 1 S. 1 FGG i.V.m. § 68 Abs. 2 FGG zu verwehren.
a) Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 S. 1 FGG für die Bewilligung von Akteneinsicht liegen zweifellos vor. Nach dieser Vorschrift kann die Einsicht der Gerichtsakten jedem insoweit gestattet werden, als er ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht. D...