Leitsatz (amtlich)
1. Zur Verwirkung von rückständigem Kindesunterhalt aufgrund nicht zeitnaher Durchsetzung des titulierten Unterhaltsanspruchs.
2. Auch bei einem titulierten Unterhaltsrückstand ist das Zeitmoment der Verwirkung grundsätzlich nach einem Jahr der Untätigkeit erfüllt.
3. Das Umstandsmoment der Verwirkung kann darin gesehen werden, dass der Titelgläubiger, der unter Hinweis auf eine deutlich gebesserte wirtschaftliche Klage des Titelschuldners Vollstreckungsmaßnahmen androht, diese aber doch unterlässt, obwohl er davon ausgehen musste, dass eine Zwangsvollstreckung erfolgversprechend sein wird. Das Umstandsmoment kann weiter gegeben sein, wenn der Titelgläubiger sich über einen längeren Zeitraum hinweg widerspruchslos mit der Zahlung eines hinter dem titulierten Betrag deutlich zurückbleibenden Teilbetrag zufrieden gibt.
4. Das Umstandsmoment ist nicht gegeben, wenn die vom Titelgläubiger angedrohte Zwangsvollstreckung unterbleibt, weil sie erkennbar aussichtslos ist.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Aktenzeichen 150 F 4664/15) |
Tenor
Der Antrag der Antragsgegnerin vom 16. Juni 2016, ihr Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverfolgung in der zweiten Instanz zu gewähren, wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 20. April 2016, mit dem die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin - Jugendamt - vom 22. März 2007 (Beurkundungsregister Nr. ... /2007) für unzulässig erklärt wurde, soweit Unterhalt bis einschließlich Dezember 2013 tituliert ist. Zur Begründung dafür, weshalb die Vollstreckung von im Zeitraum bis einschließlich Dezember 2013 - angeblich - aufgelaufener, rückständiger Unterhaltsbeträge unzulässig sein soll, hat das Familiengericht ausgeführt, dass die betreffenden, behaupteten Rückstände verwirkt seien. Das Zeitmoment sei erfüllt, weil die Antragsgegnerin in der Zeit vom 16. Juli 2013 bis zum 29. Januar 2015 und damit deutlich länger als ein Jahr keine Bemühungen unternommen habe, um ihre titulierten, dynamisierten Unterhaltsansprüche in Höhe von 135% des Regelbetrages der 3. Altersstufe abzüglich des jeweiligen Kindergeldes geltend zu machen. Das Umstandsmoment der Verwirkung läge ebenfalls vor, weil der Antragsteller - ihr Vater -, der ab Mai 2013 lediglich einen Unterhaltsbetrag von 200 EUR/Monat und damit einen deutlich geringeren als den titulierten Betrag gezahlt habe, nach Treu und Glauben darauf vertrauen durfte, dass es mit dieser Zahlung sein Bewenden habe und die Differenz zu dem titulierten Unterhaltsbetrag nicht mehr geltend gemacht werden würde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angegriffenen Beschluss Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin, die ihren erstinstanzlichen (Abweisungs-) Antrag in zweiter Instanz weiter verfolgt. Sie ist der Auffassung, das Familiengericht habe zu Unrecht eine Unterhaltsverwirkung aufgrund Zeitablaufs angenommen. Sie meint, da es sich um einen titulierten Unterhalt handele, sei bereits fraglich, ob eine Untätigkeit von lediglich etwa eineinhalb Jahren schon ausreichend sei, um das Zeitmoment zu erfüllen. Ein Vertrauen des Antragstellers darauf, dass der Rückstand nicht mehr geltend gemacht werden würde, wird von ihr in Abrede gestellt. Sie meint, als Titelgläubigerin habe sie sich auf den Titel und dessen Bestand verlassen dürfen; sie habe sich lediglich um dessen Durchsetzung zu kümmern. Zu einer zeitnahen Durchsetzung habe indessen keine Veranlassung bestanden, da sie aufgrund von bestimmten Tatsachen davon ausgehen musste, dass eingeleitete Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolglos bleiben würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 11. Mai 2016, den Schriftsatz vom 15. Juni 2016 sowie die Beschwerdebegründung vom 16. Juni 2016 Bezug genommen.
Der Antragsteller verteidigt die familiengerichtliche Entscheidung unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages als zutreffend und richtig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 25. Mai 2016, vom 29. Juni 2016 und vom 13. Juli 2016 verwiesen.
II. Die Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin bietet keine Aussicht auf Erfolg (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 114, 119 Abs. 1 ZPO). Denn gegen die familiengerichtliche Entscheidung gibt es auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts zu erinnern:
1. Allgemein anerkannt ist, dass der Geltendmachung eines Unterhaltsrückstands die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitete rechtsvernichtende, von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung entgegengesetzt werden kann; dies auch bereits vor Eintritt der Verjährung (vgl. Wendl/Dose-Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis [9. Aufl. 2015], § 6 Rn. 142; NomosKommentarBGB/Menne [3. Aufl. 2014], § 1613 Rn. 28). Voraussetzung dafür, dass eine Verwirkung angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezem...