Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit im Falle eines Beitritts zu einem Immobilienfonds

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur ausschließlichen Zuständigkeit nach § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO im Falle eines Beitritts zu einem Immobilienfonds.

2. Zur ausnahmsweisen Verweisung der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wegen richterlicher Willkür.

 

Normenkette

ZPO § 29c Abs. 1 S. 2, § 281 Abs. 2 S. 4

 

Verfahrensgang

LG Waldshut-Tiengen

 

Tenor

Das LG Waldshut-Tiengen wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Das LG Berlin und das LG Waldshut-Tiengen streiten über die örtliche Zuständigkeit für ein Verfahren, in welchem die Klägerin - ein geschlossener Immobilienfonds - die Beklagte - die (Mit-)Erbin eines zwischenzeitlich verstorbenen Fondsanlegers - auf Erfüllung von Nachschusspflichten in Anspruch nimmt. Der Fonds hat seinen Sitz in Berlin; die Beklagte hat ihren Wohnsitz, ebenso wie der Erblasser, in G. (Baden-Württemberg). Die Klage wurde vor dem LG Berlin erhoben. Zu den Voraussetzungen des Vorliegens eines Haustürgeschäftes i.S. v. § 29c Abs. 1 ZPO, § 312 BGB trug die Klägerin, auch nach gerichtlicher Auflage, nicht konkret vor. Die Klägerin hat in etwa 170 Parallelsachen ebenfalls Nachschusspflichten gegenüber Fondsanlegern vor dem LG Berlin geltend gemacht. Mit mehrseitig begründetem Beschluss vom 18.2.2008 erklärte sich das LG Berlin nach Anhörung der Parteien und auf Antrag beider Parteien für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das LG Waldshut-Tiengen. Es ist der Auffassung, das LG Waldshut-Tiengen sei gem. § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO ausschließlich örtlich zuständig. Mit Beschluss vom 17.3.2008 lehnte das LG Waldshut-Tiengen die Übernahme des Rechtsstreits ab. Es ist der Auffassung, das LG Berlin sei gem. § 22 ZPO zuständig; § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO greife nicht ein.

II.1. Das KG ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich die LG Berlin und Waldshut-Tiengen mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für örtlich unzuständig erklärt haben.

2. Das LG Waldshut-Tiengen ist jedenfalls wegen der gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindenden Wirkung des Verweisungsbeschlusses des LG Berlin örtlich zuständig.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Jedoch ist anerkannt, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO,

26. Aufl. 2007, § 281 Rz. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht eine Norm, die seine Zuständigkeit begründet, zwar in den Entscheidungsgründen erörtert, die Verneinung des Eingreifens der Norm aber völlig unvertretbar ist.

b) Die genannten Voraussetzungen für die Annahme von Willkür sind vorliegend nicht gegeben.

aa) Das LG Berlin hat das Eingreifen des § 29c Abs. 1 Satz ZPO eingehend in den Gründen seines Verweisungsbeschlusses erörtert, ohne dass diese Erörterung etwa als unbeachtliche Scheinbegründung, die einen Akt richterlicher Willkür lediglich verbal bemäntelt, anzusehen wäre. Denn die Erörterung des LG Berlin folgt in ihrer Argumentationsstruktur anerkannten Regeln, setzt sich mit der Kernfrage, die sich bei Anwendung des § 29c Abs. 1 ZPO vorliegend stellte - nämlich der Frage, ob das Vorliegen einer Haustürsituation ggf. unter Zuhilfenahme von tatsächlichen Vermutungen zu bejahen war, auseinander und legt auch ihrem Umfang nach eine ernsthafte Auseinandersetzung des Gerichts mit der Problematik nahe.

bb) Die Bejahung des § 29c Abs. 1 Satz ZPO mit der Folge der Verneinung einer sich etwaig aus §§ 22, 28 oder 29 ZPO ergebenden Zuständigkeit des LG Berlin war zumindest nicht völlig unvertretbar.

(1.) So ist im Ausgangspunkt - wie beide LG nicht verkennen - die Zuständigkeitsprüfung gem. § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO von Amts wegen vorzunehmen, und zwar auf Grundlage des Sachvortrages des Klägers (Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, § 29c Rz. 14; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 29c Rz. 9; allg. M.), der gerichtsbekannten Tatsachen (Roth in Stein/Jonas, a.a.O.) und des Sachvortrages des Beklagten, soweit dieser vom Kläger nicht bestritten wurde. Für letzteres spricht, dass gem. § 138 Abs. 3 ZPO das Nichtbestreiten dem zustimmenden bzw. eigenen Sachvortrag der nichtbestreitenden Partei generell gleich steht und dass kein Grund dafür ersichtlich ist, warum im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeitsnorm des § 29c Abs. 1 ZPO Abweichend...

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