Leitsatz (amtlich)
Der gebührenrechtliche Haftzuschlag entsteht auch dann, wenn der Beschuldigte (nur) vorläufig festgenommen ist (hier: Verteidigung im beschleunigten Verfahren).
Teil 4 Vorbem. 4 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 24.03.2006) |
Tenor
Die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors des Amtsgerichts Tiergarten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. März 2006 wird verworfen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Rechtsanwalt xxxx ist dem am 8. November 2005 vorläufig festgenommenen Angeklagten in der am Folgetag im beschleunigten Verfahren durchgeführten Hauptverhandlung gemäß § 418 Abs. 4 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt worden. In seinem Antrag auf Kostenfestsetzung hat er sowohl die Grund- als auch die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr jeweils mit Zuschlag nach den Nrn. 4101, 4107 und 4109 VV RVG in Höhe von insgesamt 523,00 EUR nebst Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Festsetzung mit der Begründung, der Rechtsanwalt habe im vorbereitenden Verfahren keinen Kontakt mit dem damaligen Beschuldigten gehabt und dessen Hauptverhandlungshaft sei mit dem Beginn der Hauptverhandlung „beendet” gewesen, abgelehnt; stattdessen hat sie die Gebühren nach den Nrn. 4100, 4106, 4108 VV RVG festgesetzt. Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts hat das Amtsgericht die Entscheidung der Urkundsbeamtin insoweit aufgehoben und die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen vom Bezirksrevisor des Amtsgerichts eingelegte, gemäß den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 2 RVG zugelassene Beschwerde hat das Landgericht – nach Übertragung der Sache vom Einzelrichter auf die Kammer – mit dem angefochtenen Beschluss verworfen. Zugleich hat es gemäß den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 1 RVG die weitere Beschwerde zugelassen. Das fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Nach der (amtlichen) Vorbemerkung 4 Abs. 4 zu Teil 4 VV RVG entsteht die Gebühr mit Zuschlag, wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet. Die Vorbemerkung hat die Regelung des § 83 Abs. 3 BRAGO dem Grunde nach übernommen. Anders als bei dieser handelt es sich jedoch nicht um eine Kann-Regelung, sondern um die zwingende Bestimmung, dass nunmehr bei Inhaftierung oder Unterbringung des Mandanten die Gebühr immer aus dem erweiterten Rahmen entsteht (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 221; Podlech-Trappmann in Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG, Vergütungsverzeichnis Teil 4 S. 633; Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdnr. 13). Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Inhaftierung oder Unterbringung des Mandanten für den Rechtsanwalt auf jeden Fall zu einem Mehraufwand führt, zumeist in Form eines erheblich größeren Zeitaufwandes, der in der Regel allein schon durch die erschwerte Kontaktaufnahme mit dem in einer Justizvollzugsanstalt (oder einer anderen Einrichtung) einsitzenden Mandanten entsteht (vgl. BT-Drucks. 15/1971 aaO).
Vorliegend stehen dem Pflichtverteidiger die Gebühren nach den Nrn. 4101, 4107 und 4109 VV RVG zu. Das Landgericht hat hinsichtlich der Grund- und der Verfahrensgebühr zutreffend ausgeführt, dass Rechtsanwalt xxxxx nach Aktenlage bereits vor der mündlichen Erhebung der Anklage in der Hauptverhandlung am 9. November 2005, also im vorbereitenden Verfahren, Kontakt mit dem (späteren) Angeklagten zwecks Vorbereitung der Hauptverhandlung hatte und dieser sich zum damaligen Zeitpunkt aufgrund seiner vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 bzw. § 127 b Abs. 1 StPO nicht auf freiem Fuß befand. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers kommt es für die Entstehung des Anspruchs auf die Gebühr mit Zuschlag nicht darauf an, ob im Einzelfall Umstände gegeben sind, die zu konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Rechtsanwalts geführt haben (vgl. Schmahl in Riedel/Sußbauer aaO VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdnr. 14). Denn die (amtliche) Vorbemerkung 4 Abs. 4 zu Teil 4 VV RVG enthält eine generelle, gerade nicht auf den Einzelfall bezogene Regelung ohne Ausnahmen oder Einschränkungen ihrer Anwendung.
Auch bezüglich der Terminsgebühr nach Nr. 4109 hat das Landgericht zu Recht bejaht, dass sich der Angeklagte während der Hauptverhandlung weiterhin nicht auf freiem Fuß befunden hat. Denn die vorläufige Festnahme diente vorliegend im Sinne des § 127 b Abs. 1 StPO auch der Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren nach den §§ 417 ff StPO. Sie ist ausweislich der Sitzungsniederschrift erst durch die nach Verkündung des Urteils und anschließendem allseitigem Rechtsmittelverzicht von dem erkennenden Richter getroffene Anordnung, den Angeklagten freizulassen, beendet worden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.
Fundstellen
Haufe-Index 1958391 |
JurBüro 2007, 643 |
AGS 2008, 31 |
RVGreport 2007, 463 |
StRR 2007, 359 |
StraFo 2007, 482 |