Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründungserfordernis für Fahrverbot bei durch Tat selbst verletztem Betroffenen
Orientierungssatz
Orientierungssätze:
1. Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe das mit der Rechtsmitteleinlegung angebrachte Akteneinsichtsgesuch nicht beschieden, gefährdet den Bestand eines Urteils nicht, weil es auf dem behaupteten Verfahrensfehler nicht beruhen kann.
2. Kann der Rechtsmittelführer die Rechtsbeschwerde aus diesem Grund nicht ausreichend begründen, so hat er gegebenenfalls Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu beantragen.
3. Wurde der Betroffene bei der von ihm begangenen Ordnungswidrigkeit selbst erheblich verletzt, so hat sich das Tatgericht bei der Begründung des Fahrverbots trotz der Indizwirkung des Bußgeldkatalogs in aller Regel damit zu befassen und zu begründen, warum es dennoch der Denkzettel-, Besinnungs- und Warnfunktion der Nebenfolge bedarf.
Normenkette
StPO §§ 267, 344 Abs. 2 S. 2; StVO § 25 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 11.05.2021; Aktenzeichen 347 OWi 166/21) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Mai 2021 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den nicht vorbelasteten Betroffen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 38 Abs. 1 Nr. 2 (richtig: Satz 2) StVO, 49 Abs. 3 Nr. 2 (richtig: Nr. 3) StVO zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und unter Gewährung des Erstverbüßerprivilegs ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Bei der Bemessung der Rechtsfolgen hat das Gericht Nr. 135.2 BKat angewendet ("Einem Einsatzfahrzeug, das blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwendet hatte, nicht sofort freie Bahn geschaffen - mit Sachbeschädigung"). Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Motorrads mit einem Rettungswagen der Berliner Feuerwehr kollidierte, der sich zuvor "langsam mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn in die Kreuzung" eingetastet hatte. Der Betroffene wurde hierbei selbst "erheblich verletzt" (UA S. 3). Er erlitt einen Kreuzband- und einen Seitenbandabriss (UA S. 3) und war nach einer stationären Krankenhausbehandlung noch längere Zeit arbeitsunfähig. Das Amtsgericht hat wegen der "erheblichen Verletzungen" nicht auf die Regelgeldbuße von 320 Euro erkannt (UA S. 5). Bei der Begründung des Fahrverbots führt das Urteil aus, der Fall weise "keine wesentlichen Besonderheiten auf", welche "die Verhängung eines Fahrverbots hier unangemessen erscheinen lassen." Auch der Betroffene habe nichts derartiges eingewandt.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt in Bezug auf den Schuldspruch erfolglos, dringt aber mit der Sachrüge gegen den Rechtsfolgenausspruch durch.
1. Die gegen den Schuldspruch gerichtete Rechtsbeschwerde ist aus den in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin genannten Gründen unbegründet im Sinne der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 28. Juli 2021 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.
Der Erläuterung bedarf hier lediglich noch, dass das Urteil nicht darauf beruhen kann, dass das Amtsgericht das mit der Rechtsmitteleinlegung angebrachte Akteneinsichtsgesuch nicht beschieden hat. Die diesbezüglich erhobene Verfahrensrüge kann damit schon logisch nicht zum Erfolg führen.
Wenn der Rechtsmittelführer der Ansicht ist, er könne die Rechtsbeschwerde - unverschuldet - nicht ausreichend begründen, so hat er gegebenenfalls Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu stellen (vgl. Thüringer OLG VRS 122, 142; OLG Köln NStZ-RR 2015, 385; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. September 2011 - IV-3 RBs 133/11 - [juris]). Obwohl die Verteidigung zum Ergebnis kommt, "die Nichtübersendung des Hauptverhandlungsprotokolls" diene "dem einzigen Zweck, der Verteidigung die Rechtsbeschwerde so gut wie unmöglich zu machen" (RB S. 1), ist ein solcher Antrag nicht angebracht worden. Dass ein solches Gesuch erfolgreich gewesen wäre, ist allerdings auch fraglich. Denn ausweislich der Rechtsmittelbegründung hat die Verteidigung ihr Akteneinsichtsersuchen nicht wiederholt, und es wurde auch kein weiterer - z. B. telefonischer - Versuch unternommen, mit der Geschäftsstelle in Kontakt zu treten. Ohne dass es darauf ankäme, fehlt für den von der Rechtsbeschwerde dennoch konstatierten "beharrlichen" und "systematischen Gesetzesverstoß" (RB S. 2) jeder objektive Anhalt.
2. In Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.
Allerdings hat das Amtsgericht zunächst zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen für den vom Betroffenen an sich verwirkten Regelfall eines groben Pflichtenverstoßes im...