Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedeutung des § 119a StVollzG
Leitsatz (amtlich)
Der Umstand, dass die Strafvollstreckungskammer versehentlich unterlassen hat, eine einzelne Entscheidung gemäß § 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG zu treffen, führt regelmäßig nicht zur Unverhältnismäßigkeit des der Strafvollstreckung folgenden Vollzuges der Sicherungsverwahrung.
Normenkette
StVollzG § 119a Abs. 1 Nr. 1; StGB § 67c Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 23.09.2015; Aktenzeichen 589 StVK 139/15) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 23. September 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 20. Mai 2011 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und ordnete die Sicherungsverwahrung an.
Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Beschwerdeführer ...
Die Strafe war am 17. September 2015 vollständig verbüßt. Seit dem Folgetag wird die (faktische) Sicherungsverwahrung vollzogen.
Mit Beschluss vom 23. September 2015 hat das Landgericht angeordnet, dass die Sicherungsverwahrung aus dem Urteil vom 20. Mai 2011 zu vollziehen ist. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II.
Die sofortige Beschwerde des Sicherungsverwahrten ist zulässig, insbesondere nach § 463 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie hat jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung in der Sache keinen Erfolg.
Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
1. Die Maßregel ist nicht nach Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB für erledigt zu erklären. Die Sicherungsverwahrung wurde nach dem 1. Januar 2011 angeordnet, der Anwendungsbereich der Norm ist daher nicht eröffnet.
2. Ebenso wenig ist die Vollstreckung der Unterbringung nach Maßgabe des § 67c Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen.
Diese Vorschrift ist aufgrund der in Art. 316f Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EGStGB getroffenen Übergangsregelung in der seit dem 1. Juni 2013 - nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) - geltenden Fassung anzuwenden.
a) Der Senat teilt die Einschätzung der Strafvollstreckungskammer, dass dem Beschwerdeführer - selbst bei Unterstützung mit strengen Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht - noch nicht die für die Aussetzung der Sicherungsverwahrung erforderliche günstige Legalprognose gestellt werden kann.
aa) Nach § 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen, wenn "der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert". Der Zweck der Sicherungsverwahrung erfordert die Vollstreckung der Unterbringung im Anschluss an den Strafvollzug, wenn die die Anordnung der Sicherungsverwahrung begründende Gefährlichkeit des Verurteilten (§ 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB n.F.) fortbesteht und sich nicht soweit verringert hat, dass eine Entlassung in die Freiheit verantwortet werden kann. Eine solche setzt die Erwartung voraus, der Verurteilte werde in Freiheit keine im Sinne des § 66 StGB erheblichen - ihrer Art und ihrem Gewicht nach für die Anordnung der Maßregel ausreichenden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 2015 - 2 Ws 1/15 -, 8. April 2014 - 2 Ws 133/14 - und 21. Oktober 2013 - 2 Ws 446/13 -; vgl. ferner [jeweils zu § 63 StGB] BVerfGK 2, 55; BVerfGE 70, 297; NJW 1995, 3048; Thür. OLG, Beschluss vom 22. Februar 2006 - 1 Ws 49/06 - [juris]) - rechtswidrigen Taten mehr begehen. Die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens muss größer sein als diejenige des Rückfalls (vgl. Thür. OLG aaO.; Senat NStZ-RR 2002, 138 [zu § 64 StGB]), wobei der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad maßgeblich von dem Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes abhängt (vgl. BVerfGE 70, 297; Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 2015 aaO. und 8. April 2014 aaO.; OLG Karlsruhe StV 1999, 385 [zu § 63 StGB]).
Bei der Prognoseentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der in der Sicherungsverwahrung liegende schwerwiegende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung und unter Wahrung strenger Anforderungen an die zugrunde liegenden Entscheidungen und die Ausgestaltung des Vollzuges zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 128, 326 ff. [BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10 -] Rdn. 97 ff.). Zwar ist vorliegend der Anwendungsbereich für die erhöhten Prognoseanforderungen nach § 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB nicht eröffnet, da kein "Vertrauensschutzfall" vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 - 1 StR 48/13 - [juris]; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 4. Juli 2013 - 3 Ws 136/13 und 137/13 - [juris Rdn. 7]). Je...