Leitsatz (amtlich)
Entgegen der bisherigen Praxis regelmäßig weit reichender Beschränkungen der Freiheitsrechte von Untersuchungsgefangenen und eines Absehens hiervon nur im Ausnahmefall muss nach der Neuregelung des § 119 Abs. 1 StPO jede über die Inhaftierung hinausgehende Beschränkung der Freiheitsrechte des Beschuldigten einzeln auf ihre konkrete Erforderlichkeit geprüft und ausdrücklich angeordnet sowie begründet werden.
Beschränkungen des Telekommunikations-, Besuchs- sowie Schrift- und Paketverkehrs stellen ganz erhebliche Eingriffe in den durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Untersuchungsgefangenen als auch des Besuchers bzw. Kommunikationspartners dar und sind nur zulässig, wenn im Einzelfall aufgrund konkreter Anhaltspunkte durch den unkontrollierten Kontakt des Untersuchungsgefangenen mit der Außenwelt eine reale Gefahr für die darin genannten Haftzwecke (Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr) besteht; die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener seine Freiheiten missbrauchen könnte, genügt nicht.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 05.02.2014; Aktenzeichen (506) 254 Js 48/11 KLs (6/12)) |
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 31.01.2012; Aktenzeichen 353 Gs 437/12) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten werden die Beschlüsse des stellvertretenden Vorsitzenden der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 5. Februar 2014 und des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. Januar 2012 - 353 Gs 437/12 - aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 5. Juni 2013 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (annähernd 36 Kilogramm eines Kokaingemisches mit einem Wirkstoffgehalt von 26,7 Kilogramm Kokainhydrochlorid) in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr dieser Betäubungsmittel aus Brasilien sowie wegen mittelbarer Falschbeurkundung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen der Einzelheiten der festgestellten Taten nimmt der Senat auf die schriftlichen Urteilsgründe Bezug. Das Urteil haben die Staatsanwaltschaft Berlin und der Beschwerdeführer jeweils mit der Revision angefochten. Eine Entscheidung hierüber ist noch nicht ergangen; die Akten sind erst Anfang März 2014 an den Bundesgerichtshof abgesendet worden.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 5. Februar 2014 hat der stellvertretende Vorsitzende der Strafkammer die vom Amtsgericht Tiergarten am 3. August 2011 und inhaltsgleich am 31. Januar 2012 angeordneten Beschränkungen gemäß § 119 Abs. 1 StPO betreffend die Erlaubnispflicht für Besuche und Telekommunikation, die Überwachung der Besuche, des Schriftverkehrs und der Telekommunikation sowie die Trennung von weiteren Inhaftierten entgegen einem Antrag des Angeklagten aufrechterhalten; ferner hat er dessen Antrag auf Erteilung einer konkreten Telefonerlaubnis zurückgewiesen. Zur Begründung hat er unter Wiederholung der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, die sich zu dem Begehren des Angeklagten geäußert hatte, im Wesentlichen das Folgende ausgeführt: Im Falle einer Aufhebung des Urteils in der Revisionsinstanz wären die früheren Mitangeklagten des Beschwerdeführers potentielle Zeugen und es bestehe "daher weiterhin die Gefahr, dass er auf Zeugen Einfluss nimmt und ggfls. Lockerungen nutzt, um (...) Fluchtvorbereitungen zu treffen". Durch die lange Dauer der Haft werde die Gefahr nicht geringer, sondern eher größer. Eine Telefonerlaubnis könne nur in besonderen Fällen, etwa in wichtigen familiären oder beruflichen Angelegenheiten, erteilt werden, wofür nichts Hinreichendes vorgetragen sei.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 11. Februar 2014, welcher der Kammervorsitzende am 7. April 2014 ("nach Kammerberatung") - ebenfalls unter Wiederholung einer (weiteren) Stellungnahme der Staatsanwaltschaft - nicht abgeholfen hat.
Zur Begründung der Nichtabhilfe hat sich der Vorsitzende darauf berufen, dass die Kammer, da die Einlassung des Beschwerdeführers zu seinem Tatbeitrag lückenhaft gewesen sei, ihre Verurteilung auf Indizien gestützt habe. Deshalb bestehe "noch genügend Anlass" für den Angeklagten, auf Zeugen und Mittäter Einfluss zu nehmen; es liege "begründeter Anlass zu dem Verdacht" vor, dass der Angeklagte D seine Aussage im Verlauf der Hauptverhandlung mit dem Beschwerdeführer abgestimmt habe und demgemäß in einigen Punkten habe korrigieren müssen.
Das zulässige Rechtsmittel (§§ 304 Abs. 1, 119 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz StPO) hat Erfolg. Für die angeordneten Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO fehlt es jedenfalls im jetzigen Verfahrensstadium an einer Grundlage, weshalb sie aufzuheben waren. Gleiches gilt im Ergebnis für die Trennungsanordnungen (§ 119 Abs. 1 Nr. 4 StPO), die zudem überwiegend schon ins Leere gehen.
Entgegen der bisherigen, letztlich auf die ...