Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung, durch die eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil versagt wird, muss auch dann durch Urteil ergehen, wenn sie isoliert vorab und nicht zusammen mit der Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung sowie ohne mündliche Verhandlung getroffen wird.
2. Die öffentliche Zustellung ist unwirksam, wenn die Voraussetzungen für eine öffentliche Bekanntmachung (ZPO § 185) nicht vorgelegen haben und das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht dies hätte erkennen können.
3. Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung löst die Zustellungsfiktion des § 188 ZPO nicht aus und setzt damit keine Frist in Lauf. In einem solchen Fall kommt das Verfahren nicht zu einem wirklichen Abschluss. Es ist bei Entdeckung des Fehlers fortzusetzen, ohne dass es dazu einer Wiedereinsetzung bedarf.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 17.03.2011; Aktenzeichen 29 O 729/09) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 30.3.2011 werden der Beschluss des LG Berlin vom 17.3.2011 - 29 O 729/09 - und der Nichtabhilfebeschluss vom 10.6.2011 mit der Maßgabe aufgehoben, dass der Einspruch der Beklagten vom 24.2.2011 gegen das Versäumnisurteil des LG Berlin vom 19.10.2010 als rechtzeitig zu behandeln ist.
Gründe
1. Auf die zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten war der Beschluss des LG Berlin, mit welchem dieses der Beklagten Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen das öffentlich zugestellte Versäumnisurteil vom 19.10.2010 versagt hat, aufzuheben.
a. Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 30.3.2011 gegen den Beschluss des LG Berlin ist zulässig, auch wenn das LG gem. § 341 Abs. 2 ZPO bei Versagung der Wiedereinsetzung über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil durch Urteil hätte entscheiden müssen. Dies kann sich nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung nicht zum Nachteil der Beklagten auswirken, obwohl bei einer isolierten Entscheidung über die Versagung der Wiedereinsetzung das LG ebenfalls durch Urteil hätte entscheiden müssen (vgl. hierzu BGH, Versäumnisurteil v. 19.7.2007 - I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218). Demzufolge kann die Beklagte die Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde angreifen.
b. Einer Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten durch das LG bedurfte es nicht, da der Einspruch der Beklagten vom 24.2.2011 mangels Laufs der durch Beschluss des LG vom 19.10.2010 auf vier Wochen bestimmten Einspruchsfrist gem. § 339 Abs. 2 ZPO rechtzeitig ist. Deshalb war auf die sofortige Beschwerde der Beklagten lediglich der die Wiedereinsetzung versagende Beschluss aufzuheben, nicht jedoch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Nichteinhaltung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil auszusprechen.
aa. Die durch Beschluss des LG vom 19.10.2010 angeordnete öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils vom selben Tag erfolgte unter Verstoß gegen § 185 ZPO und konnte damit die Einspruchsfrist nicht in Gang setzen (vgl. hierzu bereits BGH, Urt. v. 19.12.2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311).
Der BGH hat in seinem weiteren Urt. v. 6.10.2006 - V ZR 282/05 - zur Ingangsetzung der Einspruchsfrist bei öffentlicher Zustellung Folgendes ausgeführt:
" (1) Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung löst nach der Rechtsprechung des BGH, die sich an die Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 104, 301, 306) und des BFH (BFHE 192, 200, 202; BFH/NV 2005, 998, 1000) anlehnt, die Zustellungsfiktion des § 188 ZPO nicht aus und setzt damit keine Frist in Lauf (BGHZ 149, 311, 321; ähnlich BayObLG NJW-RR 2000, 1452, 1453; OLG Hamm NJW-RR 1998, 497). Das gilt jedenfalls dann, wenn die öffentliche Zustellung bei sorgfältiger Prüfung der Unterlagen nicht hätte angeordnet werden dürfen, deren Fehlerhaftigkeit für das Gericht also erkennbar war (BGHZ 149, 311, 323)."
Dies ist vorliegend der Fall.
Das LG hat die öffentliche Zustellung der Klageschrift und des Versäumnisurteils angeordnet, obwohl die Voraussetzungen von § 185 ZPO erkennbar nicht gegeben waren.
Zur Wahrung des Rechts des Beklagten auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG ist es erforderlich, dass eine öffentliche Zustellung der Klageschrift erst dann angeordnet wird, wenn das Gericht von Amts wegen alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, dass der Zustellungsempfänger tatsächlich Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück erlangt (vgl. Zöller/Geimer, 28. Aufl., § 183 ZPO Rz. 9).
Dies bedeutet, dass das Gericht sowohl die Voraussetzungen des § 185 Nr. 1 ZPO, als auch des § 185 Nr. 3 ZPO sorgfältig zu prüfen hat, wobei an die Feststellungen des allgemein unbekannten Aufenthaltes des Zustellungsempfängers hohe Anforderungen zu stellen sind, was bedeutet, dass alle Möglichkeiten auszuschöpfen sind, dem Adressaten das Schriftstück auch in anderer Weise zuzustellen (vgl. Zöller/Stöber, 28. Aufl. § 185 ZPO Rz. 2). Dies gilt erst Recht unter Berücksichtigung dessen, dass sich auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ein völkerrec...