Leitsatz (amtlich)
1. Zur Postbeschlagnahme (§ 99 StPO) - hier: Beschlagnahme von an Presseunternehmen gerichteten Tatbekennungsschreiben einer kriminellen Vereinigung.
2. Postsendungen, die der Beschlagnahme unterliegen, dürfen grundsätzlich nur von den Postunternehmen anhand der im anordnenden Beschluss festgelegten Kriterien aus der Gesamtmenge der zu befördernden Post aussortiert werden. Die Mitwirkung der Strafverfolgungsbehörden auf dieser Stufe ist jedenfalls dann rechtswidrig, wenn es zum Aussortieren keines besonderen kriminalistischen Sachverstands bedarf und die Sendungen nach rein postalischen Gesichtspunkten von den Postunternehmen ausgesondert werden können.
Verfahrensgang
BGH (Entscheidung vom 18.05.2007; Aktenzeichen 1 BGs 225/07) |
Tenor
1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlichen Anordnung der Postbeschlagnahme durch Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Mai 2007 - 1 BGs 225/2007 - wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass die Art und Weise des Vollzugs der Postbeschlagnahme insoweit gegen §§ 99, 100 StPO verstieß, als Ermittlungsbeamte des Bundeskriminalamtes und nicht Postbedienstete die an die Antragsteller gerichteten Postsendungen sichteten, um die Briefe auszusondern, die den im Postbeschlagnahmebeschluss aufgeführten Suchmerkmalen entsprachen.
3. Von den Kosten des Verfahrens und den notwendigen Auslagen der Antragsteller tragen die Antragsteller zwei Drittel und die Staatskasse ein Drittel.
Gründe
I. Der Generalbundesanwalt führte gegen die Beschuldigten Dr. B., D., Dr. H., M., L., R. und H. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der - zunächst als terroristische, später als kriminelle Vereinigung eingestuften - linksextremistischen Organisation "militante gruppe (mg)". Der Vereinigung wurde und wird eine Vielzahl von Brandanschlägen gegen überwiegend öffentliche Einrichtungen zugerechnet.
In der Nacht zum 18. Mai 2007 verübten unbekannte Täter gegen zwei Einsatzfahrzeuge der Berliner Polizei in Berlin-Spandau einen Brandanschlag, der in der Art und Weise der Tatausführung sowie hinsichtlich des Angriffsziels für eine Urheberschaft der militanten gruppe (mg) sprach. Da die militante gruppe (mg) bei früheren Anschlägen Bekennerschreiben an verschiedene Tagesszeitungen, vor allem an die B. Zeitung, die B. M., die B. und den T. verschickt hatte, erwarteten die Ermittlungsbehörden auch zu dem neuerlichen Anschlag derartige Tatbekennungen. Auf den Antrag des Generalbundesanwalts erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 18. Mai 2007 einen Postbeschlagnahmebeschluss nach §§ 99, 100 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 StPO, mit dem er für die Zeit vom 18. bis 22. Mai 2007 die Beschlagnahme durch bestimmte äußere Merkmale gekennzeichneter Briefe an die Berliner Verlagshäuser der genannten vier Tageszeitungen im Briefzentrum 10 in Berlin-Mitte anordnete. Dadurch sollten etwaige Bekennerschreiben zu dem aktuellen Anschlag vor deren Auslieferung durch die Deutsche Post AG sichergestellt und einer daktyloskopischen sowie serologischen Untersuchung unterzogen werden, bevor das Spurenbild der Täter durch andere bei der Brieföffnung in den Verlagen entstehende Spuren überlagert werden konnte. Außerdem sollten die Ermittlungsbehörden zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vom Inhalt der Bekennerschreiben Kenntnis erhalten und in die Lage versetzt werden zu ermitteln, in welchem Bezirk die Schreiben aufgegeben wurden.
Der Tenor des ermittlungsrichterlichen Beschlusses vom 18. Mai 2007 - 1 BGs 225/2007 - hat folgenden Wortlaut:
"Gemäß §§ 99, 100 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2, 169 Abs. 1 Satz 1 StPO wird
1. für die Zeit vom 18. Mai bis 22. Mai 2007 die Beschlagnahme der an die
a) B. Zeitung, ...,
b) B. M., ...,
c) B., ...,
d) T., ...,
gerichteten Briefe bei der Deutschen Post AG, Briefzentrum 10, Berlin-Mitte angeordnet, deren äußeres Erscheinungsbild aufgrund der bisherigen Erkenntnisse über Postsendungen der 'militante(n) gruppe (mg)' darauf schließen lässt, dass es sich bei den Inhalten der Briefe um Selbstbezichtigungsschreiben der 'militante(n) gruppe (mg)' zu deren Anschlag auf zwei Gruppenkraftwagen der Berliner Polizei in Berlin-Spandau in der Nacht zum 18. Mai 2007 handelt,
2. die Öffnung und Durchsicht der ausgelieferten Briefe bei der Deutschen Post AG dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe übertragen."
In den Gründen des Beschlusses wird u.a. ausgeführt:
"Die terroristische Vereinigung 'militante gruppe (mg)' versandte beim größten Teil ihrer bisherigen Anschläge in den beiden darauf folgenden Tagen Selbstbezichtigungsschreiben an die im Tenor aufgeführten Zeitungsredaktionen. Durch Auswertung der jeweiligen Briefumschläge wurde festgestellt, dass von der Gruppierung immer weiße Umschläge im Format C6 sowie selbstklebende Briefmarken verwendet wurden. In den meisten Fällen der Bekennerschreiben wurde auf den Briefumschlägen kein Absender angegeben. Die Adressanschrifte...