Leitsatz (amtlich)
Der (nicht rechtskräftige) Abschluss des Verfahrens in der Berufungsinstanz steht der Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine im Berufungsverfahren erfolgte Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 03.03.2014; Aktenzeichen (566) 225 Js 657/11 Ns (108/13)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der Strafkammer 66 des Landgerichts Berlin vom 3. März 2014 aufgehoben.
Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt St zum Verteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 28. Juni 2013 wegen Verleumdung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 3. März 2014 hat das Landgericht die Berufung verworfen. Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Seinen Antrag vom 20. Februar 2014, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, hat die Berufungskammer mit dem angefochtenen Beschluss in der Berufungshauptverhandlung abgelehnt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig und insbesondere nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl., § 141 Rn. 10a m.w.N.). Die Beschwerde ist auch nicht prozessual überholt. Zwar kann der Beschwerdeführer für das Berufungsverfahren die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers nicht mehr erreichen, nachdem gegen ihn ein Berufungsurteil ergangen ist (vgl.KG StV 2007, 372, 373; Meyer-Goßner aaO., Rn. 8 m.w.N.). Die Mitwirkung eines Verteidigers kann sich jedoch in dem Verfahrensabschnitt auswirken, der durch die Einlegung der Revision gekennzeichnet ist. Denn zur Tätigkeit eines vom Tatrichter bestellten Verteidigers gehören auch die Begründung der Revision sowie ggf. erforderlich werdende Gegenerklärungen und Erwiderungen auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verwerfung der Revision nach § 349 Abs. 2 StPO (vgl. KG, Beschlüsse vom 23. Oktober 2002 - [3] 1 Ss 291/02 [110/02], 3 Ws 417/02 - und vom 9. Juli 1996 - 5 Ws 351-352/96 -; Senat, Beschlüsse vom 6. März 2003 - 4 Ws 33/03 -, vom 26. August 1998 - 4 Ws 178/98 - [juris], vom 2. Juni 1997 - 4 Ws 115/97 - und vom 14. Juni 1995 - 4 Ws 33/95 -). Soweit der Senat in jüngeren Entscheidungen davon ausgegangen ist, dass bereits mit dem (nicht rechtskräftigen) Abschluss des Berufungsrechtszuges die Beschwer durch eine die Bestellung eines Pflichtverteidigers ablehnende Entscheidung des Berufungsgerichts entfallen war (vgl. Beschlüsse vom 28. März 2013 - 4 Ws 42/13 -, vom 2. Januar 2013 - 4 Ws 143/12 - und vom 14. September 2012 - 4 Ws 98/12 -), lagen dem jeweils besondere Fallkonstellationen zugrunde, die durch eine ausschließlich für das Berufungsverfahren begehrte Pflichtverteidigerbestellung gekennzeichnet waren. Eine Abkehr von der früheren Rechtsprechung des Senats war damit nicht beabsichtigt.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
a) Es kann insoweit dahinstehen, ob der angefochtene Beschluss bereits deshalb der Aufhebung unterliegen muss, weil er von der Berufungskammer in der Besetzung der Hauptverhandlung unter Einschluss der Schöffen gefasst wurde und nicht von der auch in der Hauptverhandlung hierfür allein zuständigen Kammervorsitzenden (§ 141 Abs. 4, 1. Halbsatz StPO; vgl. Meyer-Goßner aaO., Rn. 6 m.w.N.).
b) Es kann ferner dahinstehen, ob die Strafkammer die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung für die Tatsacheninstanz rechtsfehlerhaft verneint hat. Allerdings geht der Beschwerdeführer zu Unrecht davon aus, dass im strafrechtlichen Berufungsverfahren vor dem Landgericht die anwaltliche Postulationspflicht gilt und sich hieraus ein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ergibt. § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO sieht nur für erstinstanzliche (Straf-) Verfahren vor dem Landgericht die Notwendigkeit eines Verteidigers vor, nicht hingegen - anders als im Zivilprozess (§ 78 Abs. 1 ZPO) - für Berufungsverfahren. Ob auch die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung nach dem hier allein in Betracht kommenden § 140 Abs. 2 StPO nicht erfüllt waren, vermag der Senat hingegen nicht abschließend zu beurteilen, weil ihm mit den Doppelbänden nicht die dem Landgericht übersandten acht Band Beiakten, acht Beistücke und drei Ablichtungsbände vorgelegt wurden, deren Inhalt für die Beurteilung der Schwierigkeit der Sachlage und ggf. auch der Frage, ob dem Angeklagten im Wege des § 147 Abs. 7 StPO die für seine Verteidigung erforderliche Kenntnis des Akteninhalts verschafft werden kann, von Bedeutung sein kann.
c) Jedenfalls jedoch weist das Revisionsverfahren, auf das allein eine Pflichtverteidigerbestellung sich noch auswirken kann, vorliegend Schwierigkeiten auf, die nunmehr eine Bestellung nach § 140 Abs. 2 Sat...