Leitsatz (amtlich)
Erzielt der Unterhaltsschuldner neben Leistungen nach dem SGB II Einkünfte aus geringfügiger Beschäftigung oder sind solche dem Unterhaltsschuldner fiktiv zuzurechnen, so ist er insoweit als leistungsfähig anzusehen, als sein Gesamteinkommen unter Einschluss der Leistungen nach dem SGB II über dem Selbstbehalt liegt.
Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners bemisst sich danach, welches Einkommen ihm nach Anwendung der Anrechnungsvorschriften der §§ 11 Abs. 2 SGB II, 30 SGB II verbleibt. Als Freibetrag i.S.v. § 11 Abs. 2 SGB II aus einem erst zu schaffenden Titel kann nur ein Betrag eingesetzt werden, der der nach unterhaltsrechtlichen Kriterien zu ermittelnden Leistungsfähigkeit aus den zusammengerechneten Einkünften - unter Berücksichtigung der übrigen Freibeträge - entspricht.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Urteil vom 31.03.2010; Aktenzeichen 152 F 1610/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 31.3.2010 verkündete Urteil des AG Tempelhof-Kreuzberg - 152 F 1610/09 - geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger folgenden Unterhalt zu zahlen:
für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2009 monatlich 53,60 EUR,
für die Zeit vom 1.7.2009 bis 30.9.2010 monatlich 103,50 EUR,
somit rückständigen Unterhalt für die Zeit vom 1.11.2008 bis einschließlich 30.9.2009 i.H.v. 2.184,60 EUR,
sowie ab 1.10.2010 einen laufenden monatlichen Unterhalt i.H.v. 103,50 EUR und ab 1.1.2011 einen laufenden monatlichen Unterhalt i.H.v. 107,50 EUR.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben der Kläger 55 % und der Beklagte 45 % zu tragen.
Gründe
I. Wegen des Sachverhalts wird zunächst gem. § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Diese werden wie folgt ergänzt:
Ausweislich des Versicherungsverlaufs im Bescheid der DRV vom 27.2.2009 hat der Beklagte seit Dezember 1992 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezogen. Vorübergehend hat er geringfügige Beschäftigungen ausgeübt. Den Beruf als Teilezurichter hat er nie ausgeübt, den als Produktionshelfer nur bis September 1992. Von Januar bis September 2007 war der Beklagte in dem Bierlokal "...", zu einem monatlichen Entgelt i.H.v. 170 EUR beschäftigt. Vom 14. bis 27.4.2008 absolvierte der Beklagte ein Praktikum im Praktikumsbetrieb "...". Die Praktikumstätigkeit war auf eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden ausgerichtet und beinhaltete eine Ausbildung als Servicekraft mit den Aufgaben Vorbereitung von Speisen, Salaten und Soßen. Gegenüber dem Jugendamt überreichte der Beklagte Gehaltsnachweise für die Zeit von Mai bis Oktober 2008, die von dem Betrieb ... - Imbissbetrieb - ausgestellt waren, ausweislich derer er im Monat Mai 130 EUR monatlich und in den Monaten Juni bis Oktober 2009 monatlich 70 EUR verdiente. Gemäß Schreiben des Arbeitgebers vom 15.10.2008 wurde das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen gekündigt.
Das Jugendamt hatte den Beklagten mit Schreiben vom 29.2., 4.4. und 22.4.2008 zur Zahlung des Mindestunterhalts aufgefordert und ihn darauf hingewiesen, dass er im Fall der Arbeitslosigkeit ausreichende Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes nachzuweisen habe.
Gemäß einem fachärztlichen Bericht vom 1.8.1994 wurde der Beklagte als selbstunsichere zur psychosomatischen Projektion neigende Persönlichkeit mit erheblich eingeschränkter Leistungs- und Belastungsfähigkeit beschrieben. Gemäß dem der Entscheidung über den Rentenantrag zugrunde liegenden Gutachten vom 17.2.2009 wurde festgestellt, dass die Beschwerden des Beklagten im Lumbalbereich und Sakralbereich durch die erhobenen Befunde nicht eindeutig untermauert würden. Beschwerden im linken Knie seien noch abzuklären. Aufgrund der Beschwerden sollten schweres Heben und Tragen sowie Arbeiten in Zwangshaltungen, häufiges Knien und Hocken vermieden werden. Mittelschwere Arbeiten seien im Umfang von über sechs Stunden pro Tag möglich. Dem Gutachter sei der Eindruck entstanden, dass hier eine Somatisierungsstörung vorliege und eventuell eine Minderbelastbarkeit im Sinne einer Neurasthenie. Insoweit wurde eine Vorstellung beim Nervenarzt und gegebenenfalls eine Therapie empfohlen. Die Beschwerden würden vom Schweregrad einer Teilnahme am Erwerbsleben nicht entgegenstehen.
Der Beklagte brach im März 2010 die Behandlung bei der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie ... ab.
Der Beklagte erhielt im Streitzeitraum Leistungen nach dem SGB II i.H.v. monatlich 634 EUR von November 2008 bis Januar 2010 (Bescheid vom 9.7.2008, Bd. I Bl. 20 ff. d.A.), monatlich 672 EUR von Februar bis Juli 2009 (Bescheid vom 12.1.2009, Bd. II Bl. 81 ff.) und monatlich 708,50 EUR seit August 2009 (Bescheide vom 30.6.2010, Bd. II Bl. 94 d.A., und vom 12.1.2010, Bd. II Bl. 83 ff.).
Der Beklagte hat viermal im Jahr mit dem Kläger Umgang. Zu diesem Zweck ist er bisher mit dem Zug nach Berlin gefahren, um den Kläger abzuholen und hat den Kläger mit dem Zug zurückgeb...