Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 9 Abs. 3 MB/KK 2009 enthaltene Obliegenheit des Versicherten, sich von einem vom Krankenversicherer beauftragten Arzt untersuchen zu lassen, ist wirksam und sowohl mit der Vorschrift des § 213 VVG als auch der Rspr. des BVerfG zum erforderlichen Interessenausgleich zwischen dem Interesse des Versicherungsnehmers an informationeller Selbstbestimmung über seine Gesundheitsdaten und dem Offenbarungsinteresse des Versicherers vereinbar (Beschlüsse v. 23.10.2006 - 1 BvR 202/02; v. 17.7.2013 - 1 BvR 3167/08).
2. Diese Obliegenheit ist dahin auszulegen, dass der Versicherer den untersuchenden Arzt nicht nur beauftragen, sondern auch auswählen darf.
3. Die Bestimmung in § 5 Nr. 1g MB/KK 2009, wonach keine Leistungspflicht "für Behandlungen durch Ehegatten, Lebenspartner gem. § 1 Lebenspartnerschaftsgesetz, Eltern oder Kinder" besteht, umfasst auch Behandlungen durch Physiotherapeuten.
Normenkette
BGB § 307; VVG § 213; MB/KK 2009 § 5 Nr. 1g, § 9 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 17.01.2013; Aktenzeichen 7 O 167/12) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Teilurteil des LG Berlin vom 17.1.2013 - 7 O 167/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 10 % abzuwenden, sofern nicht zuvor die Beklagte Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin ist bei der Beklagten krankheitskostenversichert (Anlagen K 1 bis K 4).
Die behandelnden Ärzte verordneten der Klägerin wegen behaupteter Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule manuelle Therapie, Krankengymnastik, Wärmetherapie/Einweg-Moorpackungen und Massagen. Im Hinblick auf die Vielzahl der Behandlungen ohne dauerhaften Erfolg stellte die Beklagte die medizinische Notwendigkeit in Frage.
Im Laufe der vorgerichtlichen Korrespondenz ab April 2010 (Anlagen B 1 ff., K 6 ff.) stellte die Beklagte fest, dass die ihr vorgelegten Rechnungen über die verschiedenen Physiotherapiemaßnahmen von der Mutter der Klägerin als selbständiger Physiotherapeutin ausgestellt worden waren; sie wies die Klägerin mit Schreiben vom 18.7.2011 (Anlage B 13) darauf hin, dass hierfür keine Leistungspflicht gem. § 5 Abs. 1g MB/KK (Teil I der AVB) bestehe. Nach dieser Bestimmung - gleichlautend mit den MB/KK 2009 - besteht keine Leistungspflicht "für Behandlungen durch Ehegatten, Lebenspartner gem. § 1 Lebenspartnerschaftsgesetz, Eltern oder Kinder. Nachgewiesene Sachkosten werden tarifgemäß erstattet". Ab Juli 2011 ließ sich die Klägerin sodann von einer anderen Physiotherapeutin behandeln.
Am 23.9.2011 forderte die Beklagte die Klägerin auf, sich von einem von ihr benannten Arzt untersuchen zu lassen (Anlage K 11). Die Klägerin kam dieser Aufforderung nicht nach; sie war nur bereit, sich von einem von ihr benannten Arzt untersuchen zu lassen (Anlage K 12). Nach weiterer Korrespondenz zwischen den anwaltlichen Vertretern der Klägerin und der Beklagten (Anlagen K 13 bis K 15) berief sich die Beklagte auf ihre Leistungsfreiheit wegen aller Untersuchungs- und Behandlungskosten, die mit den Diagnosen Wirbelsäulenerkrankungen, muskuläre Dysbalance, muskulärer Hartspann und Blockierung Rippe in Zusammenhang stehen (Anlage K 16). Wegen der vorgerichtlichen Korrespondenz im Einzelnen wird auf die Anlagen K 6 bis K 16 und die Anlagen B 1 bis B 16 verwiesen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von insgesamt 4.539,76 EUR nebst Zinsen begehrt; dieser Betrag setzt sich zusammen aus den Rechnungen ihrer Mutter - Physiotherapie A...- aus der Zeit vom 20.5.2010 bis 3.6.2011 (Anlagen K 19 bis K 25) i.H.v. insgesamt 2.451 EUR und im Übrigen aus den weiteren in der Klageschrift S. 6 und dem Schriftsatz vom 21.11.2012 S. 3 aufgeführten Rechnungen der Physiotherapeutin H...und der Ärzte Dres. K.../H...(Anlagen K 26 bis K 29 und K 31 bis K 35). Des Weiteren hat sie verschiedene Feststellungsanträge gestellt im Hinblick darauf, dass nach ihrer Auffassung die Bestimmung in § 9 Abs. 3 MB/KK 2009 unwirksam ist, wonach sich die versicherte Person auf Verlangen des Versicherers durch einen vom Versicherer beauftragten Arzt untersuchen lassen muss. Sie meint ferner, jedenfalls habe der Versicherer kein Recht, den Arzt auszuwählen, sondern nur, ihn zu beauftragen. So sei die Bestimmung auszulegen.
Das LG hat alle Feststellungsanträge und den Zahlungsantrag i.H.v. 2.451 EUR nebst anteiligen Zinsen durch Teilurteil vom 17.1.2013 abgewiesen. Es hat die Behandlungen durch die Mutter der Klägerin als Pysiotherapeutin von der sog. Verwandtenklausel in § 5 Nr. 1g der AVB umfasst gesehen. Es hat die Wirksamkeit der Untersuchungsobliegenheit in der Auslegung, dass der Versicherer nicht nur den Arzt beauftragen, sondern auch auswählen darf, bejaht. Hi...