Leitsatz (amtlich)
1. Eine geheimdienstliche Agententätigkeit ist nicht ohne Weiteres gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet, wenn sie Mitglieder oder Unterstützer von durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigungen, insbesondere mit internationalem Haftbefehl gesuchte Führungsmitglieder, betrifft. Es bedarf vielmehr einer Einbeziehung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles in wertender Betrachtung (Anschluss an BGHSt 60, 158).
2. Übermittelt ein Behördenmitarbeiter dem Geheimdienst eines ausländischen Staates Informationen aus amtlichen Registern, die die Behörden des ausländischen Staates im Wege der Amts- oder Rechtshilfe nicht oder nur unter Erfüllung von die Rechte der Betroffenen schützenden Bedingungen erhalten könnten, so ist diese Informationsübermittlung gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gerichtet.
Nachgehend
Tenor
Der Angeklagte wird wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit in Tateinheit mit 38 Fällen der Verletzung des Dienstgeheimnisses zu einer Freiheitsstrafe von
3 (drei) Jahren und 6 (sechs) Monaten
verurteilt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Angewendete Strafvorschriften:
§§ 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 353b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 52, 53 StGB
Gründe
Gegenstand des Verfahrens ist die nachrichtendienstliche Anbindung des Angeklagten P an den indischen Auslandsgeheimdienst Research & Analysis Wing. An diesen lieferte der Angeklagte von Anfang Januar 2013 bis zum 8. Februar 2016 eine Vielzahl von Tatsachen und Erkenntnissen, über die er aufgrund seiner Tätigkeit als Mitarbeiter bei der Zentralen Ausländerbehörde B. verfügte oder die er sich zum Zwecke des Verrats beschaffte. So verschaffte der Angeklagte dem indischen Geheimdienst einen umfassenden Zugriff insbesondere auf das Ausländerzentralregister.
Dem Urteil ist eine Verständigung (§ 257c StPO) vorausgegangen.
A. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten
I. Der 59 Jahre alte Angeklagte wurde am xx in xx (Sri Lanka) geboren. (...) Am 19. Oktober 1984 reiste der Angeklagte, über Indien, Moskau und Ost-Berlin kommend, in die Bundesrepublik Deutschland ein und ersuchte hier am 24. Oktober 1984 um Asyl. Der Asylantrag des Angeklagten wurde zu keiner Zeit bestandskräftig beschieden; vielmehr nahm der Angeklagte seinen Antrag vor seiner Einbürgerung im Jahr 1998 zurück. Während seines Asylverfahrens hatte der Angeklagte noch vorgegeben, seine kaufmännische Ausbildung ebenfalls in Sri Lanka absolviert zu haben.
Bereits ab 1985 war der Angeklagte in verschiedenen Funktionen für die Stadt B. tätig, zunächst ehrenamtlich und ab dem 15. Juli 1988 in einem regulären Arbeitsverhältnis im Sozialamt B.. Sein kommunikatives Wesen, seine Sprachkenntnisse - der Angeklagte spricht unter anderem Englisch, Tamil, Singhalesisch, Malayalam und Deutsch - sowie seine Vernetzung unter Asylbewerbern, die aus seiner Herkunftsregion stammten, waren für die Stadt B. ausschlaggebend, ihn als Sozialarbeiter für deren Betreuung einzusetzen. Im Jahr 1994 wurde der Angeklagte sodann zum Amt für Wohnungsbauförderung und Wohnungshilfen versetzt, das im Folgejahr in die Zentrale Ausländerbehörde B. integriert wurde. Seit diesem Zeitpunkt war der Angeklagte dort beschäftigt und wechselte 1997 in den Bereich der Passersatzpapierbeschaffung. Er war dort unbefristet als Angestellter im öffentlichen Dienst in der Vergütungsgruppe IVb des Bundes-Angestelltentarifvertrags beschäftigt - wenngleich sein Asylverfahren noch bis 1998 nicht endgültig abgeschlossen war - und verließ diesen Arbeitsbereich in der Folge, ohne befördert worden zu sein, bis zu seiner Festnahme nicht mehr. Nebenher war der Angeklagte als Dolmetscher für Polizeidienststellen und Gerichte tätig. Wegen seines großen beruflichen Engagements und seiner vielfältigen behördenübergreifenden Kontakte war der Angeklagte auch in anderen Ausländerbehörden bekannt.
(...)
Im April 2016 kündigte die Stadt B. wegen der hier in Rede stehenden Vorwürfe ihr Arbeitsverhältnis zum Angeklagten.
II. Der Angeklagte ist nicht bestraft.
III. Der Angeklagte wurde am 17. Februar 2016 festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2016 (1 BGs 6/16), neu gefasst mit Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. April 2016 (1 BGs 28/16), abgeändert durch Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 4. August 2016 (1 BGs 70/16), in Untersuchungshaft, und zwar zunächst in der Justizvollzugsanstalt K. und sodann in der Justizvollzugsanstalt M.. Mit Verkündung des Urteils hat der Senat den Angeklagten vom Vollzug der Untersuchungshaft gegen die Erfüllung von Auflagen verschont.
B. Sachverhalt
Aufgrund seiner Tätigkeit als Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde B. verfügte der Angeklagte über spezielles Wissen, das er von Anfang Januar 2013 bis zum 8. Februar 2016 seinen nachrichten...