Leitsatz (amtlich)
1. Führt ein Bauunternehmer eine geänderte Leistung aus, für die aus objektiver Sicht ein technisches Bedürfnis bestand und die nicht in den Bauvertrag eingepreist war, kann sich der Besteller nicht darauf berufen, diese Änderung nicht begehrt oder angeordnet zu haben, sofern der Unternehmer zuvor Bedenken gegen die ungeänderte Ausführung angemeldet hatte.
2. Anderes gilt nur, wenn der Besteller unmissverständlich erklärt, für ihn sei im Konfliktfall die Vermeidung einer Mehrvergütung vorrangig gegenüber der Funktionstauglichkeit des Werks.
3. Der Antrag eines Bauunternehmers auf Erlass einer einstweiligen Zahlungsverfügung verliert nicht seine gemäß § 650d BGB vermutete Dringlichkeit, weil er in guter wirtschaftlicher Verfassung und zur Sicherung seiner Liquidität nicht auf die Zahlung angewiesen ist.
4. Beantragt ein Bauunternehmer eine einstweilige Verfügung nicht zu einem möglichst frühen Zeitpunkt, sondern erst nach einiger Zeit, hat er die Dringlichkeit seines Anliegens durch solches Abwarten im Zweifel nicht selbst widerlegt.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 8 O 87/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 9. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Gründe
A. Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) und die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) streiten um Vergütungsnachträge zu mehreren Bauverträgen. In einem vorangegangenen Verfahren (im Folgenden auch: Erstverfahren) erstritt die Klägerin bereits eine einstweilige Verfügung gemäß § 650d BGB, in der die Beklagte zu einer Zahlung verpflichtet wurde (KG, Urteil vom 2. März 2021, 21 U 1098/20). Nunmehr begehrt die Klägerin eine weitere einstweilige Zahlung von der Beklagten.
Die Klägerin ist ein Malerunternehmen, die Beklagte ein öffentliches Wohnungsunternehmen.
Die Beklagte ließ in der L-Straße in Berlin fünf Gebäude mit insgesamt über 250 Wohnungen errichten. Sie führte eine öffentliche Ausschreibung für die Vergabe der Spachtel- und Malerarbeiten durch, wobei sie die in den einzelnen Gebäuden auszuführenden Arbeiten auf drei Lose mit unterschiedlichen Leistungsverzeichnissen aufteilte. Die Klägerin unterbreitete der Beklagten unter dem 18. März 2019 für jedes Los ein Angebot mit Einheitspreisen. Am 2. Mai 2019 beauftragte die Beklagte die Klägerin auf Grundlage dieser Angebote und unter Einbeziehung der VOB/B. Die Auftragssummen belaufen sich auf die folgenden Beträge:
Los 1 (Häuser 64 und 62): 366.482,73 EUR (einschließlich Umsatzsteuer)
Los 2 (Haus 56): 277.498,48 EUR (einschließlich Umsatzsteuer)
Los 3 (Häuser 58 und 60): 436.598,51 EUR (einschließlich Umsatzsteuer)
Nach Beginn der Arbeiten kam es zu diversen Streitigkeiten zwischen den Parteien.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe einen zusätzlichen ausgleichenden Haftputz aufbringen müssen, da die von ihr zu bearbeitenden Decken und Wände im gesamten Bauvorhaben als Folge ungenauer Betonierarbeiten Schalungsstöße, Versprünge und Kanten aufgewiesen hätten. Dieses Problem sei in allen Bereichen des Bauvorhabens aufgetreten, allerdings sei jeweils nicht die gesamte Rohbetonfläche, sondern immer nur ein Teilbereich zusätzlich zu verputzen gewesen. Die Größe dieses Teilbereichs hängt von der Stärke der auszugleichenden Kante ab. Die Klägerin meint weiter, dass sie diesen Ausgleichsputz an Decken und Wänden nicht in ihre Vertragsangebote habe einkalkulieren müssen und stellt der Beklagten hierfür einen Vergütungsnachtrag in Rechnung, der im Folgenden wie im Erstverfahren als NL 4 bezeichnet wird.
Am 29. April 2020 legte die Klägerin ihre 7. Abschlagsrechnung, in der sie auch den NL 4, aufgeteilt in zahlreiche Einzelpositionen einstellte (jeweils N1.02 und N2.02, aufgeteilt nach Räumen und Bereichen). Der Gesamtbetrag der den Nachtrag NL 4 ergebenden Einzelpositionen belief sich in jener Rechnung auf 166.583,56 EUR (netto).
Unter anderem wegen dieses Nachtrags NL 4 begehrte die Klägerin im Erstverfahren die Verpflichtung der Beklagten zu einer einstweiligen Zahlung. Dies hatte teilweise Erfolg. In seinem Urteil vom 2. März 2021 gelangte der Senat zu dem Ergebnis, die Klägerin habe glaubhaft gemacht, dass ihr ein offener Werklohn aus § 631 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zustehe, der sich aus einer Mehrvergütung für den Nachtrag NL 4 speise. Diese offene Mehrvergütung für den Nachtrag NL 4 bewertete der Senat mit rund 30 % des in die Abschlagsrechnung Nr. 7 eingestellten Betrags von insgesamt 166.583,56 EUR, nämlich mit 50.000,00 EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer, also 59.500,00 EUR einschließlich Umsatzsteuer.
Bereits im Jahr 2020, also noch im Verlauf des Erstverfahrens, hatte die Klägerin ihre Leistungen aus den drei streitgegenständlichen Bauverträgen abgeschlossen, wobei die Beklagte diese Verträge zumindest teilweise gekündigt hatte. Die Klägerin legte drei Schlussrechnungen für die drei Lose, nämlich am 12. Mai 2020 für das Los 1 (Anlage K 4), am 31. August 2...