Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung von Schreiben eines Jobcenters, die als "Information über den Leistungsanspruch für..." bezeichnet sind, zur Vorlage beim Heimbetreiber bestimmt sind und Wohnheim, Flüchtling, Zeitraum und Tagessatz ausweisen, als öffentlich-rechtliche bindende Zusage, den nach § 22 SGB II bestehenden materiell-rechtlichen Hilfeanspruch des Bewohners durch Direktzahlung an den Heimbetreiber zu erfüllen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 08.12.2020; Aktenzeichen 56 O 43/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 08.12.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 56 O 43/20 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 63.574,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Beklagte 3/4 und die Klägerin 1/4 zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Beklagte 4/5 und die Klägerin 1/5 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin betreibt verschiedene Unterkünfte im Land Berlin zur Beherbergung von wohnungslosen Personen. Sie hat nach Vorlage von ihre an jeweilige Einrichtung adressierten Schreiben, welche vom Beklagten ausgestellt und durch die zu beherbergenden Personen überbracht wurden, solche Personen - in der Regel Flüchtlinge - untergebracht. Die formularmäßig gefertigten Schreiben sind mit "Information über den Leistungsanspruch für..." überschrieben und weisen die Namen der Personen, den Zeitraum sowie den Tagessatz aus. In ihnen wird erklärt, dass zu dem angegebenen Tagessatz "die Kosten - längstens für die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts in Ihrem Hause (einschließlich MwSt.) pro Person übernommen. (werden)". Sodann heißt es, durch Einrahmung hervorgehoben: "Diese Information ist nicht übertragbar und begründet keinen eigenständigen Anspruch des Vermieters." und weiter:
"Bei vorzeitigem Auszug bitten wir um unverzügliche Mitteilung.
Durch diese Erklärung wird kein Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin und dem Wohnungsgeber begründet.
Um Hergabe einer Rechnung mit Duplikat und Zweitschrift der Kostenübernahme wird gebeten. Geben Sie in der Rechnung bitte Ihr Bankkonto an, da der Rechnungsbetrag bargeldlos gezahlt wird.
Wir bitten Sie, die Durchschrift dieses Schreibens mit den vom Mieter (Leistungsempfänger) und von Ihnen bescheinigten Erklärungen über seinen tatsächlichen Aufenthalt an uns zu senden.
Durch die Abrechnung mit dem Jobcenter erkennt der Wohnungsgeber an, dass die Leistungsverpflichtung des Landes Berlin und des Jobcenters in der oben genannten Höhe nur dann besteht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen (z.B. Gewerbeerlaubnis) für den Betrieb erfüllt sind und die für die Vermietung behördlichen Genehmigungen (z.B. Zweckentfremdungserlaubnis) nachgewiesen werden können.
Der Wohnungsgeber kann unter Vorlage dieser Bestätigung inklusive des ausgefällten Blattes 2 direkt mit dem Jobcenter N abrechnen. Diese Bestätigung begründet jedoch keine Rechte des Wohnungsgebers gegenüber dem Jobcenter N sondern dient nur der Information über die Höhe des Leistungsanspruchs des/der Leistungsberechtigten. Sofern dieser Leistungsanspruch wegfällt, sich mindert oder abgelehnt wird, obliegt es dem/der Leistungsberechtigten, dem Wohnungsgeber darüber Mitteilung zu machen. Das Jobcenter N übernimmt solche eine Mitteilungspflichten nicht."
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Bezahlung von 151 noch (teilweise) offenen Rechnungen für Zeiträume ab 01.09.2017 in Höhe von insgesamt 85.216,15 EUR begehrt. Auf die nach Nutzer(gruppen) sortierte Auflistung der Rechnungen in Anlage K 2 wird verwiesen. Das Landgericht hat der Klage mit seinem am 08.12.2020 verkündeten Urteil, auf das wegen der erstinstanzlichen Anträge und weiteren tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, nach Maßgabe des Berichtigungsbeschlusses vom 21.01.2021 in Höhe von 80.299,78 EUR stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten.
Die tatsächlichen Feststellungen werden wie folgt ergänzt:
Der Beklagte hat erstinstanzlich die Zuständigkeit des Amtsgerichts in Wohnraummietsachen geltend gemacht (Schriftsatz vom 28.08.2020) und mit Schriftsatz vom 27.10.2020, S. 8 die Ansicht vertreten, dass die Zivilgerichte unzuständig "wären", wenn sich die Klägerin auf eine "angebliche" öffentlich-rechtliche Zusage als Anspruchsgrund berufe.
Zwischen der Klägerin und dem Landesamt für Fl...