Leitsatz (amtlich)

1. Klagt ein Bauunternehmer auf eine Sicherheitsleistung gemäß § 650f Abs. 1 S. 1 BGB, deren Höhe zwischen den Parteien umstritten ist, so ist sie durch das Gericht ohne Beweisaufnahme nach freier Überzeugung festzusetzen (§ 287 Abs. 2 ZPO). Dabei kann das Gericht auch auf einen Betrag erkennen, der geringer ist als die vom Unternehmer schlüssig dargelegte Vergütungsforderung.

2. Bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung nach Kündigung des Bauvertrags ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich der Besteller nicht auf einen wichtigen Kündigungsgrund berufen kann; im Ausnahmefall kann aber anderes gelten.

3. Die schlüssige Darlegung der großen Kündigungsvergütung gemäß § 648 bzw. § 650f Abs. 5 S. 2 BGB setzt nicht voraus, dass der Werkunternehmer Angaben zu seinem anderweitigen Erwerb macht.

4. Die Möglichkeit, dass der Werkunternehmer durch den anderweitigen Einsatz seines kündigungsbedingt freigesetzten Personals Umsätze erzielen konnte, die auf seine Kündigungsvergütung anzurechnen sind, kann es rechtfertigen, einen Abschlag von seinem Sicherungsanspruch vorzunehmen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 29 O 82/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 29. Oktober 2021 unter Aufhebung seiner Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass es in seiner Ziff. 1 nunmehr wie folgt lautet:

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für ihre Vergütungsansprüche aus dem Vertrag vom 26./27. September 2020 über den Neubau eines Gemeindezentrums auf dem Grundstück H in Höhe eines Betrags von 1.072.919,52 EUR eine Sicherheit gemäß § 650f BGB zu leisten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

3. Die Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin zu 45 %, die Beklagte zu 55 % zu tragen, die Kosten der zweiten Instanz die Klägerin zu 15 %, die Beklagte zu 85 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistung einer Bauunternehmersicherheit in Anspruch.

Die Klägerin ist ein Bauunternehmen. Die Beklagte ist Eigentümerin des Grundstücks H in Berlin. Im Jahr 2020 plante sie, das Grundstück zu teilen. Auf einem Teil wollte sie ein im vorliegenden Rechtsstreit nicht näher beschriebenes "Gemeindezentrum" errichten. Auf dem anderen Teil sollte eine mit der Beklagten verbundene Gesellschaft, die B GmbH (im Folgenden: B), mit öffentlichen Fördermitteln eine "interkulturelle Kindertagesstätte" bauen lassen.

Auf Grundlage eines Angebots der Klägerin beauftragte sie die Beklagte mit Bauvertrag vom 26./27. September 2020 (im Folgenden kurz: Bauvertrag) mit der Errichtung des Gemeindezentrums. Nach Ziff. 2 des Vertrags umfasst er als Los 1 den Rohbau zu einer Vergütung von 1.339.000,00 EUR (netto) und als Los 2 den Ausbau, die technische Ausrüstung etc. zu einer Vergütung von 3.401.000,00 EUR (netto). Insgesamt beläuft sich die Vergütung damit auf 4.740.000,00 EUR (netto).

In Ziff. 3.2.2. des Bauvertrags heißt es wörtlich, wobei die Parteien als Auftraggeber und Auftragnehmer bezeichnet werden:

"Der vorläufige Ausführungszeitraum (...) beträgt für das Los 1 (...) ca. 7 Monate (...).

Der vorläufige Ausführungszeitraum (...) beträgt für das Los 2 (...) ca. 11 Monate (...).

Die Ausführung des Los 2 steht unter dem Vorbehalt zur Sicherstellung der Finanzierungsmittel.

Sollten vom Auftraggeber keine Finanzierungsmittel rechtzeitig bereitgestellt werden, wird die Ausführung unterbrochen und die Arbeit ruht solange, bis die Finanzierungsmittel rechtzeitig zur Verfügung stehen. Der Auftragnehmer stellt den Auftraggeber von Schadensersatzansprüchen aus Arbeitsunterbrechungen infolge fehlender Bereitstellung von Finanzierungsmitteln frei."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrags wird auf die Anlage K 1 verwiesen.

Die Beklagte hatte mit der Betreuung des Vorhabens den Architekten R beauftragt.

Im Zeitraum September / Oktober 2020 begann die Klägerin mit den Arbeiten für das Gemeindezentrum und stellte der Beklagten sukzessive prozentuale Abschlagszahlungen auf ihre Vergütung in Rechnung. Unter Berücksichtigung der Skonti leistete die Beklagte hierauf Zahlung in Höhe von 1.333.424,00 EUR.

Im Dezember 2020 stellte die Beklagte auf dem Teil des Grundstücks, auf dem die Kindertagesstätte errichtet werden soll, eine Bodenplatte aus Stahlbeton mit einer Fläche von ca. 47 × 12,4 m und einer Dicke von ca. 0,58 m her. Diese Bodenplatte war nicht Gegenstand des Bauvertrags mit der Beklagten.

Mit Schreiben vom 4. März 2021 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr bis zum 16. März 2021 eine Sicherheit gemäß § 650f BGB in Höhe von rund 4,671 Mio. EUR (einschließlich Umsatzsteuer) zu leisten (Anlage K 4). Nach f...

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