Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Architekt oder Ingenieur bei Verhandlungen über den Abschluss eines Architektenvertrags die einschlägige Vorstrafe einer Person ungefragt offenbaren muss, die mit maßgeblichem Einfluss an der Vertragserfüllung mitwirken soll.
2. In Verhandlungen über den Abschluss eines Architektenvertrags ist die frühere Verurteilung des Architekten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Bestechlichkeit jedenfalls dann eine einschlägige Vorstrafe, wenn Leistungen der Leistungsphasen 7 und 8 gemäß HOAI Gegenstand des Architektenvertrags sein sollen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 12 O 39/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts vom 17. März 2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin und die X GmbH (im Folgenden: X GmbH) sind in Berlin ansässige Architekten- und Ingenieursgesellschaften. Zumindest seit dem Jahr 2018 ist Herr G Alleingesellschafter beider Gesellschaften. Herr G war zuvor bis März 2013 Prokurist und Bereichsleiter der F GmbH (im Folgenden: F GmbH). In dieser Funktion erwirkte er, dass die F GmbH Nachtragsforderungen eines Bauunternehmers in Millionenhöhe für Bauleistungen am Vorhaben V ohne Prüfung bezahlte. Für diese Tat verurteilte ihn das Landgericht Cottbus im September 2017 wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Diese Verurteilung ist rechtskräftig. Jedenfalls in den Jahren 2018 und 2019 verbüßte Herr G diese Strafe als Freigänger im offenen Vollzug; er war zu dieser Zeit bei dem Potsdamer Bauunternehmen H GmbH fest angestellt. Jedenfalls seit diesem Zeitraum und ist seine Mutter, B G, Geschäftsführerin der Klägerin und der X GmbH.
Die Beklagte ist eine Projektentwicklungsgesellschaft, die das auf dem Grundstück S, Berlin befindliche Wohngebäude sanierte. Die Gesellschaft gehört zur sog. B-Unternehmensgruppe. Zu dieser gehören weitere Gesellschaften, deren Geschäftsbetrieb in der Sanierung bzw. dem Neubau von Gebäuden auf Grundstücken in Berlin besteht. Die Klägerin und diese weiteren Gesellschaften, die alle denselben Geschäftsführer haben, werden im Folgenden einheitlich als Projektgesellschaften bezeichnet.
Mehrere dieser Projektgesellschaften beauftragten in den Jahren 2018 und 2019 die Klägerin und die X GmbH. Die Verträge mit der Klägerin hatten die näher definierte Planung der technischen Gebäudeausrüstung für die Bauvorhaben der Projektgesellschaften zum Gegenstand (im Folgenden: Planungsverträge). Die Verträge mit der X GmbH hatten die näher definierte Überwachung der Bauarbeiten (im Folgenden: Überwachungsverträge) zum Gegenstand. In allen Fällen hatte Herr G die Vertragsverhandlungen für die Klägerin bzw. die X GmbH geführt, während der Prokurist dieser Gesellschaften, Herr M, die Verträge unterzeichnete. Für die Durchführung des Vertrags war auf Seiten der Leistungserbringerin Herr G verantwortlich, der allerdings nicht alle beauftragten Aufgaben selbst erledigen, sondern auch weitere Personen einschalten sollte.
2019 gerieten die Parteien dieser Verträge in Streit. Der Geschäftsführer der Projektgesellschaften war der Auffassung, die Klägerin bzw. die X GmbH befänden sich im Verzug und erklärte schließlich mit Schreiben vom 6. August 2019 die Kündigung der Verträge aus wichtigem Grund (vgl. z.B. Anlage K 3 in 21 U 50/22). Die Klägerin und die X GmbH erhoben daraufhin Klagen auf Sicherheitsleistung und auf Kündigungsvergütung gegen ihre Vertragspartner.
Im November 2020 erfuhr der Geschäftsführer der Projektgesellschaften von der Vorstrafe des Herrn G. Daraufhin erklärte er im Namen dieser Gesellschaften die Anfechtung ihrer Verträge mit der Klägerin bzw. der X GmbH wegen arglistiger Täuschung.
Die Rechtsstreitigkeiten zwischen der Klägerin und der X GmbH einerseits und den Projektgesellschaften andererseits werden vor unterschiedlichen Kammern des Landgerichts Berlin und unterschiedlichen Senaten des Kammergerichts geführt. Der hier erkennende Senat ist mit den folgenden Verfahren befasst, wobei wegen der weiteren Einzelheiten auf die angegebenen Anlagen (Nummerierung gemäß dem jeweiligen Verfahren) bzw. Schriftsätze verwiesen wird:
Klage der Klägerin auf Sicherheitsleistung aus § 650f aus Planungsvertrag betreffend das Vorhaben S, 21 U 50/22.
Planungsvertrag vom 4. / 21. Februar 2019 Vertragsgegenstand: Planung der technischen Gebäudeplanung, Leistungsphasen 1 bis 7, Vergütung: 181.338,00 EUR (netto, Anlage K 1).
Beanspruchte offene Kündigungsvergütung: 131.435,25 EUR (einschließlich Umsatzsteuer).
Beanspruchte Sicherheitsleistung (zuzüglich 10 %): 144.578,...