Leitsatz (amtlich)
1. Es bestehen Amtspflichten der Bediensteten einer Justizvollzugsanstalt zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Gefangenen. Dies bedeutet auch die Verhütung von drohenden Schäden der Häftlinge durch Mitgefangene. Jedoch können für die Bejahung eines Schadensersatzanspruchs nur solche Umstände in die Beurteilung zur Feststellung einer besonderen Gefährlichkeit eines Häftlings einbezogen werden, die den zuständigen Amtsträgern bereits vor der Tat zum Nachteil eines Mithäftlings bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.
2. Eine allgemeine Rechtspflicht dahin, dass ein Richter einen Sachverständigen bereits bei dessen Beauftragung noch vor Kenntnisnahme des zu erstattenden Gutachtens stets anweisen muss, sich gegebenenfalls mit der Justizvollzugsanstalt in Verbindung zu setzen, um für den Vollzug bedeutsame Untersuchungsergebnisse mitzuteilen, besteht nicht.
Normenkette
BGB § 839 i.V.m. Art. 34 GG; UVollzO Nr. 22 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 16.11.2011; Aktenzeichen 86 O 57/11) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Berlin vom 16.11.2011 - 86 O 57/11 - geändert. Die Klage wird (insgesamt) abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der dem Streithelfer in der zweiten Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte und der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schadensersatz, weil er während einer Untersuchungshaft in der Jugendstrafanstalt durch einen anderen Untersuchungshäftling (im Folgenden: Schädiger) am mehrfach mit einem Hammer geschlagen und dadurch erheblich verletzt wurde.
Wegen des Sach- und Streitstandes und der Sachanträge wird auf den Tatbestand des Urteils des LG vom 16.11.2011 Bezug genommen.
Der Tatbestand wird wie folgt ergänzt:
Die Tat vom beging der am geborene Schädiger im Zusammenhang mit seiner psychiatrischen Erkrankung. Er litt unter der Wahnvorstellung, die junge Frau habe ihn seit vier Tagen verfolgt und überwache ihn für einen Pornoring. Nachdem er die junge Frau mit der Faust heftig ins Gesicht geschlagen hatte, bedrohte er Passanten, die ihn stellen wollten, mit einer geladenen Schreckschusspistole. Auch insoweit war er wahnbedingt der Auffassung, die Passanten stünden in Verbindung mit dem Bösen in Gestalt eines sein Leben bedrohenden Pornorings. Im weiteren Verlauf schlug er einem der Passanten die Schreckschusspistole mehrfach in das Gesicht.
Im Zusammenhang mit der Randale in seinem Haftraum am trat der Schädiger aggressiv gegenüber den Justizvollzugsbeamten auf und war von Verfolgungsangst gekennzeichnet.
Die Erstvorstellung des Schädigers am bei dem Streithelfer erfolgte zum einen wegen des Vermerkes im Aufnahmeersuchen über den verwirrten Zustand des Schädigers und zum anderen wegen der Randale im Haftraum. Das von dem Streithelfer an diesem Tag verordnete Medikament Zyprexa hat einen stark dämpfenden Effekt auf die so genannte synaptische Erregungsübertragung innerhalb des Gehirns. Es beseitigt die Symptome der psychischen Erkrankung wie Halluzinationen und Wahn.
Bei der zweiten Vorstellung des Schädigers am vermerkte der Streithelfer u.a..: "keine Fremd- oder Eigengefährdung".
Die dritte Vorstellung des Schädigers beim Streithelfer fand am statt.
Bei der letzten Vorstellung am sah der Streithelfer eine Wiedervorstellung am vor, zu der es wegen der Tat zum Nachteil des Klägers am nicht mehr kam.
Ab dem war der Schädiger in der beschäftigungstherapeutischen Werkstatt der Jugendstrafanstalt gemeinsam mit anderen Gefangenen eingesetzt gewesen, wo sich die Tat zum Nachteil des Klägers ereignete.
Der Kläger hat erstinstanzlich nicht nur behauptet, dass der Streithelfer mit der Einschätzung, dass keine Fremdgefährdung vorhanden sei, eine fehlerhafte Einschätzung vorgenommen habe. Dieser habe die hohe Gefährlichkeit des Schädigers für Dritte sogar positiv erkannt. Zudem hat der Kläger behauptet, dass sich aus der "Richtlinie für die Beschäftigung psychisch auffälliger Gefangener in der beschäftigungstherapeutischen Werkstatt" ergebe, dass psychisch auffällige Jugendliche in der Werkstatt nicht unbeaufsichtigt bleiben dürften. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass der Schädiger unter keinen Umständen in der Werkstatt hätte arbeiten dürfen, erst recht nicht zusammen mit - arglosen - Gefangenen einer anderen Gruppe, noch dazu nach Absetzung des Medikaments. Zumindest hätte er (der Kläger) darüber unterrichtet werden müssen, mit psychisch auffälligen Gefangenen in einer Werkstatt eingesetzt zu werden. Spätestens nach Eingang des Gutachtens von Dr. be...