Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahme einer wettbewerbsrechtlichen "geschäftlichen Handlung" und "unwahren Angabe" bei einer irreführenden Selbstanpreisung des Namensgebers von Nahrungsergänzungsmitteln in einer Zeitungsanzeige, in der auch allgemeine gesundheitspolitische Aussagen enthalten sind und die Produkte selbst nicht genannt werden
Leitsatz (amtlich)
1. Eine wettbewerbsrechtliche "geschäftliche Handlung" und eine unwahre "Angabe" können nach den besonderen Umständen des Einzelfalles (insbesondere Kennzeichnung von Nahrungsergänzungsmittel mit dem Namen der irreführend - als international anerkannter Arzt und Wissenschaftler, dessen Entdeckungen [einer Krebsbehandlung durch Vitamine und andere Nährstoffe] klinisch erwiesen seien - hervorgehobenen Person, Strukturvertrieb dieser Nahrungsergänzungsmittel) auch dann (als Imagewerbung) zu bejahen sein, wenn in der Zeitungsanzeige darüber hinaus ebenso allgemeine gesundheitspolitische Aussagen enthalten sind, die Produkte selbst nicht genannt werden und über die weiteren Hinweise in der Anzeige nicht unmittelbar Informationen zu diesen Produkten zu erlangen sind (vgl. hierzu BVerfG GRUR 2008, 81 - Pharmakartell und GRUR 2007, 1083 - Vitaminprogramm).
2. Aus der objektiven Eignung zur Wettbewerbsförderung folgt eine Vermutung für eine "geschäftliche Handlung" (anknüpfend an BGH GRUR 2002, 1093 - Kontostandsauskunft; GRUR 2003, 800 - Schachcomputerkatalog).
3. Wettbewerbsrecht kann auch dann anwendbar sein, wenn neben ein (auf die Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs gerichtetes) Geschäftsinteresse andere (etwa allgemeine politische) Ziele treten. Das geschäftliche Interesse muss dabei nicht überwiegen (vgl. hierzu auch BVerfG, a.a.O., und BGHZ 180, 355 - Festbetragsfestsetzung).
4. Dem grundgesetzlichen Schutz der Meinungsfreiheit kann in diesen Fällen durch eine Abwägung innerhalb der jeweiligen wettbewerbsrechtlichen Verbotsnorm hinreichend Rechnung getragen werden (vgl. BGH, a.a.O., Festbetragfestsetzung).
5. Bei einer (insbesondere bewusst) irreführenden Selbstanpreisung einer Person (die bürgerlichrechtlich von Wettbewerbern an sich nicht untersagt werden könnte) mit einer erheblichen wettbewerblichen Wirkung kann der Schutz des lauteren Wettbewerbs die Meinungsfreiheit im Einzelfall überwiegen.
6. Die Aussage "ein international anerkannter Arzt und Wissenschaftler" enthält einen hinreichenden Tatsachenkern, der einer Beweisaufnahme zugänglich ist (Abgrenzung zu BGH WRP 2008, 820 - namenloser Gutachter). Maßgeblich ist insoweit, ob bei den Patienten und in der Wissenschaftsgemeinde tatsächlich ein entsprechendes hohes Ansehen dieser Person besteht, nicht aber, ob nach den Leistungen der Person ein solches Ansehen geschuldet wäre.
Normenkette
UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; GG Art. 5 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 12.06.2007; Aktenzeichen 103 O 59/07) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 12.6.2007 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 103 des LG Berlin - 103 O 59/07 - teilweise geändert:
Dem Beklagten wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, untersagt, im geschäftlichen Verkehr für sog. "Z.Medizin" zur Nahrungsergänzung zu werben:
1. "Dr. ...ist der international anerkannte Arzt und Wissenschaftler, der der natürlichen Kontrolle von Volkskrankheiten zum Durchbruch verholfen hat",
2. "Dr. ...
Seine Entdeckungen sind wissenschaftlich und klinisch erwiesen ...",
wenn dies (vorstehend 1. und/oder 2.) geschieht wie in der nachfolgend abgebildeten Anzeige gem. Anlage K10:
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung (hinsichtlich der Unterlassungen i.H.v. jeweils 37.500 EUR und wegen der Kosten in Höhe des vollstreckbaren Betrages) abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit (hinsichtlich der Unterlassungen i.H.v. jeweils 37.500 EUR und wegen der Kosten in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages) leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger (ein gerichtsbekannter Wettbewerbsverband, zu dessen Mitgliedern u.a. 63 pharmazeutische Unternehmen bzw. Unternehmen, die mit pharmazeutischen Produkten handeln, zählen) und der Beklagte (ein promovierter Mediziner) streiten (noch) um die Zulässigkeit der Aussage "Dr. ...ist der international anerkannte Arzt und Wissenschaftler ..." sowie der Aussage "Seine Entdeckungen sind wissenschaftlich und klinisch erwiesen ..." in einer am 25.5.2005 erschienenen Anzeige in einer Berliner Tageszeitung.
Der Beklagte beendete sein Medizinstudium in Münster und Hamburg 1985 mit dem Examen. Er war sodann für drei Jahre wissenschaftlicher Mitarbeite...