Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn der Beklagte mit einer Gegenforderung aufrechnet, die zur Klageforderung im Gegenseitigkeitsverhältnis steht, ist ein Vorbehaltsurteil gemäß § 302 Abs. 1 ZPO zulässig, wenn sichergestellt ist, dass es die Durchsetzbarkeit der Klageforderung nicht verbessert. Ein solches Vorbehaltsurteil kann der Abschichtung und Strukturierung eines Rechtsstreits dienen.
2. Hat der Unternehmer dem Besteller gemäß § 648a Abs. 5 S. 1 BGB erfolglos eine Frist zur Sicherheitsleistung gesetzt, kann er den Vertrag auch dann noch kündigen, wenn er zunächst nur seine Leistung verweigert hat. Er muss vor der Kündigung keine erneute Frist zur Sicherheitsleistung setzen.
3. Berufen sich beide Vertragsparteien eines Werkvertrags darauf, den Vertrag aus wichtigem Grund gekündigt zu haben, kann nur die Kündigung einer Vertragspartei erfolgreich sein. Das ist diejenige Kündigung, die bei einer materiellen Gesamtbetrachtung als vorrangig anzusehen ist.
4. Die Kündigungsvergütung des Unternehmers aus § 648a Abs. 5 S. 2 BGB ist ohne Abnahme fällig. Denn anders als die freie Kündigung des Werkbestellers ist die Kündigung des Unternehmers aus wichtigem Grund dahin auszulegen, dass sie sämtliche Erfüllungs- und Nacherfüllungspflichten aus dem Vertrag beenden soll.
5. Lässt der Besteller eine angemessene Frist zur Sicherheitsleistung gemäß § 648a Abs. 5 S. 1 BGB erfolglos verstreichen, befindet er sich im Mitwirkungsverzug. Verweigert der Unternehmer darauf seine Leistung, hat er wegen der ihm dadurch entstehenden Nachteile einen Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB gegen den Besteller.
6. Der Unternehmer kann seine Produktionsmittel nicht unbegrenzt gegen Entschädigung aus § 642 BGB für eine stillstehende Baustelle vorhalten. In welchem zeitlichen Umfang die vergebliche Vorhaltung durch den Mitwirkungsverzug des Bestellers veranlasst ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
7. Auch wenn der Mitwirkungsverzug des Bestellers lediglich zur Verlangsamung eines Prozesses auf der Baustelle führt, kann dies zu einem nach § 642 BGB zu ersetzenden Nachteil führen, weil der Unternehmer die durch den betroffenen Prozess gebundenen Produktionsmittel länger vorhalten muss.
8. Hält der Unternehmer aufgrund des Mitwirkungsverzugs ein Produktionsmittel vergeblich bereit, ist mit Ablauf der kleinsten zeitlichen Abrechnungseinheit der Nachteil dem Grunde nach entstanden. Die Frage, in welchem zeitlichen Umfang die Vorhaltung durch den Mitwirkungsverzug veranlasst ist, kann das Gericht deshalb unter den Voraussetzungen von § 287 Abs. 2 ZPO nach freiem Ermessen entscheiden.
9. Selbst wenn die gemäß § 642 Abs. 2 BGB maßgebliche vereinbarte Vergütung für den Unternehmer nicht auskömmlich sein sollte, beläuft sich seine Entschädigung zumindest auf die Höhe der Mehrkosten, die ihm durch den Mitwirkungsverzug entstanden sind. Daraus folgt: Hat der Unternehmer diese Mehrkosten dargelegt und beansprucht er keinen Zuschlag zur Deckung seiner allgemeinen Geschäftskosten und seines Gewinns, bedarf es keines weiteren Parteivortrags zur Kalkulation der Vergütung.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 20.05.2016; Aktenzeichen 94 O 94/14) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Mai 2016 wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 215.152,49 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 71.931,67 EUR seit dem 23. April 2014 und aus weiteren 143.220,82 EUR seit dem 3. Februar 2015 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird der Klageantrag Ziff. 1 abgewiesen.
II. Die Entscheidung über die Hilfsaufrechnung der Beklagten mit den folgenden angeblichen Gegenansprüchen bleibt vorbehalten:
1. Anspruch wegen der Beschädigung des Gebäudes C... straße ... durch die Klägerin in Höhe von 115.015,42 EUR (netto)
2. Anspruch wegen der Beschädigung des Gebäudes C... straße ... durch die Klägerin in Höhe von 144.885,00 EUR (netto)
3. Anspruch wegen unberechtigter Wasserentnahme durch die Klägerin in Höhe von 2.037,00 EUR
4. Anspruch wegen von der Klägerin Stromkosten in Höhe von 14.055,75 EUR.
III. Die Entscheidung über den Klageantrag Ziff. 2 bleibt vorbehalten.
IV. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
V. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
VI. Dieses Urteil ist bis zum Erlass des Schlussurteils nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
VII. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien streiten um wechselseitige Ansprüche aus einem Bauvertrag über Erd- und Spezialtiefbauarbeiten.
Die Beklagte ist Bauherrin des Bauvorhabens T... Hotel in der C... straße ..., ...... . Im Jahr 2012 ließ sie ein Leistungsverzeichnis erstellen, das die Herstellung der Baugrube für den Neubau des Hotels und deren wasserdichte Umschließung einschließlich einer Sohle vorsah. Die Sohle war im Hochdruckinjektionsverfahren (HDI) herzustellen. Nach Aufforderung durch die Beklagte ga...