Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 07.03.1990) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. März 1990 abgeändert, soweit die Klage gegen die Beklagte zu 1) abgewiesen worden ist und im Kostenpunkt:
1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 100.000,- DM nebst 4 % p.a. Zinsen auf 30.000,- DM seit 5. August 1989 und auf weitere 70.000,- DM seit 19. Februar 1991 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin ihren künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 13. November 1987 zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Von den Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Urteilsgebühr für die Berufungsinstanz, die der Beklagten zu 1) auferlegt wird, haben zu tragen:
Die Klägerin die Hälfte der Gerichtskosten und ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2), die Beklagte zu 1) die Hälfte der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, jedoch darf die Beklagte zu 1) die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer der Beklagten zu 1) übersteigt 40.000,- DM.
Tatbestand
Die Klägerin und ihr Bruder spielten am 13. November 1987 im ersten Stock des Hauses ihrer Eltern, die sich im Erdgeschoß aufhielten, mit dem damals fünfeinhalbjährigen Sohn der Beklagten M Versteck. Während des Spiels schoß M mit Hilfe eines Gummis ein ca. 10 cm langes, aus massiver Hartplastik bestehendes Spielflugzeug, an dem sich ein Haken befand, in Richtung der Klägerin ab und traf sie am rechten Auge. Dabei erlitt diese eine perforierende Hornhautwunde mit einem Irisprolaps. Sie mußte sich vier Augenoperationen mit stationären Krankenhausaufenthalten unterziehen. Die Pupille des rechten Auges ist dauerhaft geschädigt und reagiert nur eingeschränkt auf Licht. Infolge der Linsenabsaugung trägt die Klägerin eine Kontaktlinse, und die Hornhautnarbe sowie die Pupillenverziehung hinterließen einen kosmetisch auffälligen Befund, nämlich eine unregelmäßige Oberfläche mit Vernarbungen sowie Neovaskularisationen (neu gebildete Gefäße).
Am rechten Auge besteht die Gefahr von Komplikationen, wie Erkrankung an grünem Star oder Netzhautablösung. Die Sehschärfe beträgt auf dem verletzten Auge der Klägerin, mit dem sie nur noch hell und dunkel unterscheiden und schemenhaft sehen kann, nur noch 8 %, und es besteht wegen der Pupillenstarre die Notwendigkeit zum Tragen von Lichtschutzgläsern.
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Die Klägerin, die die Beklagten wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht über M auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, hat behauptet: M habe bei seinem Eintreffen das Spielflugzeug in seiner Tasche verborgen gehalten. Ihr Vater sei während des Spiels, das bis zum Unfall ungefähr 30 bis 45 Minuten gedauert habe, mehrfach in das Kinderzimmer gekommen, obgleich das Verhalten der spielenden Kinder keinen Anlaß zur Besorgnis gegeben habe. Dabei habe er das Spielflugzeug nicht bemerkt. Nach den unfallbedingten stationären Krankenhausaufenthalten habe ihr gesundes linkes Auge bis Frühjahr 1988 stundenweise geschlossen werden müssen, um eine völlige Erblindung auf dem geschädigten Auge zu vermeiden.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 13. November 1987 bis zum 30. April 1989 nebst 4 % Zinsen seit dem 5. August 1989 zu zahlen;
2. festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit sie nach dem 30. April 1989 entstehen, aus dem Unfall vom 13. November 1987 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergehen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet: Das den Unfall verursachende Spielflugzeug stamme aus einer von der Beklagten zu 1) für den Preis von einer DM gekauften "Super-Wundertüte", die auf der Vorderseite die Aufschrift trage "Für Mädchen" und auf der Rückseite den Hinweis "Für Kinder unter 3 Jahren nicht geeignet". Die Beklagte zu 1) habe die Tüte M ungeöffnet geschenkt, der sie im Auto, wo er zusammen mit seinem älteren Bruder auf der Rückbank gesessen habe, geöffnet habe. M sei nach der Rückkehr vom Einkaufen auf dem Gelände der Wohnsiedlung von dem Bruder der Klägerin mit nach Hause genommen worden, wovon sie nichts gewußt hätten. Die Kinder seien befreundet, und es habe ein regelmäßiger und häufiger Besuch mehrmals am Tag gegenseitig stattgefunden. M sei über verbale Mahnungen hinaus das Spiel mit objektiv gefährlichen Gegenständen stets untersagt worden, was sich sogar auf Stöcke, Schneebälle und ähnliche Gegenstä...