Leitsatz (amtlich)

›1. Bei Dunkelheit darf ein Kraftfahrer im innerstädtischen Verkehr auch in Randgebieten einer Großstadt auf nicht ausgeleuchteten Straßen nur so schnell fahren, daß er innerhalb der überschaubaren, durch Scheinwerfer seines Kraftfahrzeuges (hier: städtischer Verkehrsbus) ausgeleuchteten Strecke halten kann (sog. Fahren auf Sicht).‹

2. Überfährt ein Fahrzeug bei nächtlichen Sichtverhältnissen eine auf der Fahrbahn liegende oder hockende Person, so ist von einer hälftigen Haftungsverteilung auszugehen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 13.12.1993; Aktenzeichen 24 O 346/91)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. Dezember 1993 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt nicht 60.000,- DM.

 

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Die statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 516, 519, 222 Abs. 2 ZPO). Ihr Rechtsmittel hat jedoch keinen Erfolg, weil das Urteil des Landgerichts richtig ist.

Zutreffend hat das Landgericht eine Haftung der Beklagten für den dem Kläger infolge des Unfalls am 31. Juli 1990 gegen 23.55 Uhr in Berlin-Frohnau auf der Oranienburger Chaussee - rund 120 m nördlich des Schwarzkittelweges - entstandenen immateriellen Schaden und für künftigen materiellen Schaden - insoweit nach einer Quote zu 1/2 und soweit der diesbezügliche Ersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist - angenommen. Die Haftung des Beklagten zu 2. ergibt sich daraus, daß er den BVG-Bus B.-... gelenkt hat und seine an die Sichtverhältnisse nicht angepaßte, von ihm eingehaltene Geschwindigkeit zu dem Unfall geführt hat (§§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG, 3 Abs. 1 StVO, 823, 847 Abs. 1 BGB, 256 ZPO). Schon deshalb hat der Beklagte zu 1. für die Berliner Verkehrsbetriebe als Dienstherrin des Beklagten zu 2. in gleichem Umfang einzustehen, wobei sich seine gesamtschuldnerische Haftung zugleich daraus ergibt, daß sich der Unfall bei dem Betrieb des von ihm gehaltenen BVG-Busses ereignet hat und er als Eigenversicherer wie ein Haftpflichtversicherer einzustehen hat (§§ 7 Abs. 1 StVG, 831, 847 Abs. 1 BGB, 256 ZPO in Verbindung mit §§ 2 Nr. 2 und Nr. 3, Abs. 2, 3 Nr. 1 und Nr. 2 PflichtVersG). Wie noch auszuführen ist, hat der Beklagte zu 2. den Unfall fahrlässig verursacht und verschuldet. Schon deshalb stellt sich der Unfall für die Beklagten nicht als unabwendbares, einer Haftung entgegenstehendes Ereignis dar (vgl. § 7 Abs. 2 StVG). Ein Mitverschulden des Klägers steht außer Streit, das das Landgericht mit der Haftungsquote der Beklagten zu 1/2 für künftige materielle Schäden (§§ 9 StVG, 254 BGB) und bei der Schätzung des Schmerzensgeldes (§ 254 BGB) zutreffend berücksichtigt hat:

1. Richtig geht das Landgericht davon aus, daß ein Kraftfahrer bei Dunkelheit auf Sicht fahren muß, d.h. nur so schnell fahren darf, daß er innerhalb der überschaubaren, hier durch Abblendlicht ausgeleuchteten Strecke halten kann (§ 3 Abs. 1 Sätze 1, 2, 4 StVO). Es ist nicht zu beanstanden, daß das Landgericht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Pflichten der Verkehrsteilnehmer auf Autobahnen bei Dunkelheit (VersR 1965, 88; NJW 1984, 2412; NJW-RR 1987, 1235) verweist, um herauszustellen, daß es sich um eine selbstverständliche Verpflichtung eines Kraftfahrers handelt, auf Sicht zu fahren. Dabei macht es bezüglich des Verschuldens des Kraftfahrers keinen Unterschied, ob es infolge Unachtsamkeit (§ 1 Abs. 2 StVO) oder wegen zu schnellen Fahrens im Hinblick auf die überschaubare Strecke zu einem Auffahren selbst eines unbeleuchteten, ggfs. auch haltenden bzw. stehenden Hindernisses kommt. Anders liegt es unter ganz besonderen Umständen nur, wenn plötzlich von der Seite her ein Hindernis in den Fahrbereich gelangt oder wenn wegen ihrer besonderen Beschaffenheit Hindernisse - etwa wegen fehlenden Kontrastes zur Fahrbahn oder wegen hoher Lichtabsorption - ungewöhnlich schwer zu erkennen sind. Dies kann der Fall sein, wenn ein Baumstamm weit nach hinten aus einem unbeleuchteten Anhänger herausragt, wenn eine Absperrstange eines Weidenzaunes spitzwinklig in den Verkehrsbereich hineinragt sowie wenn ein Gegenstand von der Größe etwa eines halben LKW-Reifens auf der Fahrbahn liegt.

Abgesehen davon, daß Fußgänger Autobahnen nicht betreten dürfen (§ 18 Abs. 9 StVO), bedarf es keiner abschließenden Erörterung insoweit, ob die bislang zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu ungewöhnlich schwer zu erkennenden Hindernissen auch auf hockende oder liegende Menschen auf Bundesstraßen innerhalb und außerhalb einer Ortschaft anzuwenden ist oder nicht. Denn der Unfall ereignete sich innerhalb einer Ortschaft, wenn auch auf einer Bundesstraße, in einem Waldgebiet, auf einer Straße, die zu einer anderen Ortschaft führte, und zur Unfallzeit ersichtlich kaum befahren war. Die Situation ändert sich nicht dadurch, daß der Beklagte zu 2...

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