Leitsatz (amtlich)
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO setzt voraus, dass eine Aufrechnungslage besteht, die der Gläubiger durch eine anfechtbare Rechtshandlung geschaffen hat. Die Vorschrift greift dann nicht ein, wenn die Aufrechnung selbst die anfechtbare Rechtshandlung ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 08.05.2003; Aktenzeichen 21 O 36/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung und die Anschlussberufung gegen das am 8.5.2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 21 des LG Berlin - 21 O 36/03 - werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
A. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil der Zivilkammer 21 des LG Berlin Bezug genommen, das dem Kläger am 30.5.2003 zugestellt worden ist. Der Kläger hat dagegen am 27.6.2003 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Der Beklagten ist die Berufungsbegründung am 8.7.2003 zugestellt worden. Sie hat am 8.8.2003 Anschlussberufung eingelegt.
Der Kläger rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO durch das LG und macht geltend, die Verrechnung im Kontokorrent sei anfechtungsrechtlich wie die Aufrechnung zu behandeln.
Die Beklagte trägt vor: Die Verrechnung werde nicht von dieser Bestimmung erfasst. Daher könne keine Unwirksamkeit kraft Gesetzes eintrete, wenn die Verrechnung anfechtbar sei. Die Verrechnungslage sei zudem nicht in anfechtbarer Weise hergestellt worden. Soweit sie verurteilt worden sei, habe das LG nicht berücksichtigt, dass das Guthaben i.H.v. 7.083,64 DM am 30.9.1999 wieder in das Kontokorrent eingestellt worden sei, weil die Insolvenzschuldnerin die Auszahlung nicht geltend gemacht habe. Damit habe es seine Selbständigkeit verloren und sei als unselbständiger Rechnungsposten weitergeführt worden. Im Oktober 1999 habe sie daher noch eine Gutschrift i.H.v. 133,38 DM und Lastschriften i.H.v. insgesamt 32.185,44 DM zugelassen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und hinsichtlich der gestellten Anträge auf die Sitzungsniederschrift vom 14.5.2004 Bezug genommen.
B. Die form- und fristgerecht eingelegten Rechtsmittel der Parteien sind unbegründet.
I. Die Berufung hat keinen Erfolg, weil das LG mit zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt, einen Anspruch des Klägers auf Auskehrung des Guthabens aus den Zahlungseingängen zwischen dem 27.8.1999 und dem Eingang des Insolvenzantrags vom 27.9.1999 verneint hat.
1. Selbst wenn die zum 30.9.1999 festgestellten Gutschriften nach Abzug der Lastschriften der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegen, kann der Kläger die Auskehrung nur nach § 143 Abs. 1 InsO verlangen. Dieser Anspruch ist jedoch gem. § 146 Abs. 1 InsO verjährt.
2. Ein Anspruch auf Auskehrung der Gutschriften aus dem Kontokorrentvertrag gem. §§ 667, 675 BGB besteht nicht, weil es sich bei den Gutschriften nur um Rechnungsposten handelt, die mit dem Rechnungsabschluss am 30.9.1999 gem. § 355 Abs. 1 HGB getilgt worden sind und damit zugleich ihre Selbständigkeit verloren haben (BGH v. 7.3.2002 - IX ZR 223/01, BGHReport 2002, 521 = MDR 2002, 966 = NJW 2002, 1722 [1723]).
a) Die Verrechnung ist entgegen der Ansicht des Klägers auch dann nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam, wenn man diese Norm entsprechend auf die Verrechnung anwendet. Die Vorschrift betrifft nur die "Möglichkeit der Aufrechnung" und setzt daher voraus, dass eine Aufrechnungslage besteht, die der Gläubiger durch anfechtbare Rechtshandlungen geschaffen hat. Die schon vor Eintritt der Krise vertraglich vereinbarte Verrechnungsabrede wird ebenso wie die krisenfest vereinbarte Aufrechnung hiervon nicht erfasst (vgl. § 94 InsO). Stellt die Bank einzelne Gutschriften daher in das Kontokorrent ein, entspricht sie der anfechtungsrechtlich unbedenklichen Kreditvereinbarung mit der Insolvenzschuldnerin. Die anfechtbare Verrechnung erfolgt erst mit der Feststellung des Saldos (BGH v. 7.3.2002 - IX ZR 223/01, BGHReport 2002, 521 = MDR 2002, 966 = NJW 2002, 1722 [1723]). Damit verliert die Verrechnung aber nicht ihre Wirksamkeit, weil die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht vorliegen; denn die Verrechnung ist nicht Folge einer anfechtbaren Rechtshandlung, sondern stellt selbst die anfechtbare Rechtshandlung dar. Erst die innerhalb der zweijährigen Verjährungsfrist zu erhebende Anfechtungsklage kann nach alledem die Rückforderung einzelner Gutschriften aus dem Kontokorrent nach § 143 Abs. 1 InsO auslösen.
b) Der Ansicht des Klägers, die Beklagte habe sich die Möglichkeit der Verrechnung in anfechtbarer Weise durch ...