Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichterstattung über Einzelheiten der jetzigen Lebenssituation eines ehemaligen Mitglieds der sog. RAF
Leitsatz (amtlich)
"Zur Berichterstattung über Einzelheiten der jetzigen Lebenssituation eines ehemaligen Mitglieds der sog. Roten Armee Fraktion (RAF)".
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 19.06.2007; Aktenzeichen 27 O 462/07) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des LG Berlin vom 19.6.2007 (27. O. 462/07) abgeändert:
Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an einem Vorstandsmitglied, untersagt,
das Bildnis des Wohnhauses des Antragstellers zu verbreiten, wie in der B.-Zeitung vom ... April ... unter der Überschrift "Hier wohnt RAF-Terrorist W." geschehen.
Im Übrigen wird die einstweilige Verfügung des LG Berlin vom 8.5.2007 (27. O. 462/07) aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
I. Der Antragsteller war als Mitglied der sog. zweiten Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) Ende der siebziger Jahre an terroristischen Anschlägen, so an der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten S., beteiligt. Er wurde 1978 festgenommen und 1981 zu zweimal lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. 1999 wurde er auf Bewährung entlassen. Im Frühjahr 2007 nahm die Generalbundesanwaltschaft erneut Ermittlungen wegen des Mordes an Generalbundesanwalt B. auf, die sich auch gegen den Antragsteller richten.
Der Antragsteller nimmt die Antragsgegnerin auf Unterlassung der Verbreitung eines Fotos der Straßenfassade von dessen Wohnhaus sowie von Einzelheiten über dessen jetzige Lebenssituation in Anspruch, die die Antragsgegnerin unter der Überschrift "Hier wohnt RAF-Terrorist W." in der Köln-Ausgabe der B.-Zeitung vom ... April ... veröffentlichte.
Das LG Berlin hat die antragsgemäß erlassene einstweilige Verfügung vom 8.5.2007 durch Urteil vom 19.6.2007 bestätigt. Das Urteil ist der Antragsgegnerin am 2.7.2007 zugestellt worden. Mit ihrer am 12.7.2007 eingelegten und zugleich begründeten Berufung verfolgt die Antragsgegnerin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung weiter.
Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG vom 19.6.2007 die einstweilige Verfügung vom 8.5.2007 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
Dem Antragsteller steht nur teilweise ein Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Berichterstattung gegen die Antragsgegnerin aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 sowie 1 Abs. 1 GG zu.
Ob ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers vorliegt, ist anhand einer Güterabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der Antragsgegnerin, hier also der Presse- und Meinungsfreiheit zu bestimmen. Zwar beinhaltet das allgemeine Persönlichkeitsrecht einerseits das Recht, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen (BGH NJW-RR 2007, 619), auch dieses Grundrecht wird jedoch nicht grenzenlos gewährt. Im Einzelfall können das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Meinungsfreiheit Vorrang haben.
Der Antragsteller hat vorliegend die Berichterstattung der Antragsgegnerin über einzelne Fakten seiner derzeitigen Lebensverhältnisse wegen der überwiegenden Interessen der Antragsgegnerin hinzunehmen, nämlich insoweit als die Berichterstattung eine Identifizierung des Antragstellers für Dritte über die Namensnennung hinaus nicht ermöglicht. Bezüglich der Verbreitung des Fotos seines Wohnhauses überwiegen dagegen die Interessen des Antragstellers.
1. Es bestand ein bedeutendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung der Antragsgegnerin, dies nicht allein hinsichtlich der Mitteilung über die Aufnahme von Ermittlungen gegen den Antragsteller wegen des Mordes an dem Generalbundesanwalt B., sondern darüber hinaus vor dem Hintergrund der besonderen historischen Bedeutung der Taten der RAF und deren vielfältiger Nachwirkungen im öffentlichen Bewusstsein bis zum heutigen Tag auch bezüglich über die bloße Namensnennung hinausgehender Informationen über die aktuelle Lebenssituation des Antragstellers.
a) Nach wie vor besteht ein überragendes historisches Interesse an der RAF, ihren Taten sowie ihren Mitgliedern, zu denen der Antragsteller gehörte.
Das gilt uneingeschränkt trotz des im Jahr 1992 erklärten Verzichts der RAF auf Gewaltanwendung und der im Jahr 1998 erklärten Selbstauflösung der RAF und der seitdem verstrichenen Zeit. Die Mitglieder der RAF und die von ihnen verübten Taten haben über das allgemeine Interesse der Öffentl...